Oktober 2020 – Ausgabe 36
Das Ulnaimpaktionssyndrom
Dr. med. Thomas Geyer
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Dr. med. Katharina Da Fonseca
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Dr. med. Steffen Berlet
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Keywords: Ulnaimpaktionssyndrom, Ulnaverkürzungsosteotomie, WaferProzedur
Das Ulnaimpaktionssyndrom ist eine häufige Ursache des ellenseitigen Handgelenkschmerzes. Es handelt sich um eine Verschleißerscheinung, deren Ursache in einer übermäßigen Belastung zwischen der Elle und der ellenseitigen Handwurzel liegt. Wenn konservative Maßnahmen wie Belastungsreduktion und entzündungshemmende Medikation nicht zum Erfolg führen, stehen mehrere operative Therapieoptionen zur Verfügung. Am häufigsten werden die Ulnaverkürzungsosteotomie und die arthroskopische WaferProzedur durchgeführt; beide Verfahren werden in diesem Artikel beschrieben.
Beim Ulnaimpaktionssyndrom besteht meistens eine relative Überlänge der Elle im Verhältnis zur Speiche, auch wenn die Erkrankung gelegentlich bei Ulnaminusvarianz auftritt. Das Ulnaimpaktionssyndrom kann entweder angeboren oder – z. B. nach in Verkürzung ausgeheilter Speichenfraktur oder Radiusköpfchenresektion – erworben sein. Der erhöhte Druck der Elle auf die Handwurzel führt zur Degeneration und Rissbildung des TFCC (triangular fibrocartilage complex), zu Druck und Knorpelschäden im Bereich des Mondbeines und des Ulnadomes sowie letztendlich zur Rissbildung und chronischen Bandinsuffizienz des LTBandes (LTIL = lunotriquetral interosseous ligament).
Die Diagnosestellung erfolgt klinisch. Die Patienten klagen über belastungsabhängige ulnarseitige Handgelenkbeschwerden. Bestätigt wird die Diagnose durch die entsprechenden Röntgenbilder und eine MRTUntersuchung.
Bei erfolgloser konservativer Therapie stehen im Wesentlichen zwei operative Methoden zur Verfügung: die Ulnaver kürzungsosteotomie und die arthrosko pische Teilresektion des Ulnadomes (Wafer Prozedur).
Biomechanik
Bei neutraler Ulnavarianz werden ca. 18 % der Last über das ellenseitige Handgelenk übertragen (1). Hierbei spielt der TFCC eine entscheidende Rolle: Wird dieser entfernt, werden nur noch 6 %, also 67 % weniger Last über die Elle übertragen. Es besteht ein umgekehrtes Verhältnis zwischen Ulnavarianz und Dicke des TFCC, d. h., bei einer Ulnaminusvarianz ist der TFCC deutlich dicker und sorgt somit für eine bessere Lastübertragung (1, 2). Ein Ulnaimpaktionssyndrom kann auch bei Ulnaminusvarianz vorliegen, auch wenn dies weniger häufig auftritt (3). Beim Kraftgriff und bei der Pronation kommt es zum dynamischen Ulnavorschub, was für die vermehrte Kraftübertragung und Ulnaimpaktion ausreichend sein kann (4–8). Ebenso ergeben sich Hinweise, dass bei Handgelenken mit Ulnaplusvarianz beim Kraftgriff eine Dorsalverschiebung der Elle auftritt und somit die Lastübertragung verringert wird (8).
Durch biomechanische Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass sowohl durch eine Verlängerung als auch durch eine Verkürzung der Elle eine deutliche Veränderung der Lastübertragung über das ulnarseitige Handgelenk erzielt werden konnte. Hierbei fiel die Veränderung bei der Verkürzung allerdings geringer aus (1). Die arthroskopische WaferProzedur zeigt ebenfalls eine Druckreduktion im ulnarseitigen Handgelenkkompartiment. Das Ziel beider Verfahren besteht also in einer Reduktion der Lastübertragung über das ellenseitige Handgelenk (9–12).
Epidemiologie
Insgesamt gibt es wenig Daten zur Inzidenz, Demografie und zum natürlichen Verlauf des Ulnaimpaktionssyndroms. In Asien scheint es aufgrund einer höheren Inzidenz der Ulnaplusvarianz jedoch häufiger aufzutreten (13–19).
Insgesamt besteht eine Häufung nach in Verkürzung ausgeheilten Speichenfrakturen. Durch die zunehmende operative Versorgung mit palmar angelegten winkelstabilen Radiusplatten scheint die Inzidenz rückläufig zu sein.
Die Erkrankung beginnt meistens schleichend mit gelegentlich auftretenden belastungsabhängigen Schmerzen des ulnaren Handgelenkes, die im Verlauf zunehmen. Insbesondere der Kraftgriff sowie die forcierte Ulnaabduktion und Pronation sind schmerzhaft. Abgesehen von o. g. Radiusfrakturen liegt meistens kein erinnerliches Trauma vor. Aber nicht alle radiologisch festgestellen Ulnaplusvarianzen sind symptomatisch. Gelegentlich zeigen sich radiologische Veränderungen, ohne dass die Patienten über rele vante Schmerzen oder Symptome klagen.
Klinische Untersuchung
Die Diagnose ergibt sich aus der Anamnese, der klinischen Untersuchung sowie der entsprechenden Bildgebung. Beim ulnarseitigen Handgelenkschmerz müssen die häufigen Differentialdiagnosen wie Arthrose des Ellenspeichengelenkes (DRUG) und des pisotriquetralen Gelenkes (PT) sowie Veränderungen der ExtensorcarpiulnarisSehne (ECUTendinitis oder Luxation), um nur einige zu nennen, ausgeschlossen werden.
Ein klinischer Test wurde von Nakamura et al. beschrieben. Hierbei wird das Handgelenk maximal ulnar abduziert und unter axialem Stress der Unterarm aus der Supination proniert (20). Der Test gilt als positiv, wenn die typischen Schmerzen/Symptome des Patienten dabei reproduziert werden. Auch wenn der Test sehr sensitiv ist, so ist er doch auch bei anderen pathologischen Veränderungen und Diagnosen des ulnarseitigen Handgelenkes positiv (TFCCVeränderungen, Arthrose, LTBandinstabilitäten) (21).
Ein lokaler Druckschmerz besteht meistens streckseitig im Bereich des Ulnarköpfchens und etwas weiter distal hiervon. Zusätzlich zu den Stabilitätstests der LTBandverbindung (z. B. KleinmanShear Test) sollte die Stabilität des DRUG untersucht werden, da diese u. U. das operative Vorgehen beeinflusst. Der Befund muss immer mit der asymptomatischen Gegenseite verglichen werden.
Bildgebung
Als Standardaufnahme gilt die Röntgenuntersuchung des Handgelenkes im posteriorenanterioren Strahlengang in neutraler Rotation und 90°Flexion des Ellenbogens (Abb. 1). Zusätzlich sollte eine pronierte Kraftaufnahme durchgeführt werden, um die positive Ulnavarianz und den dynamischen Ulnavorschub beurteilen zu können. Auch vergleichende Aufnahmen der Gegenseite sind hilfreich. Die Bilder bestätigen die Ulnaplusvarianz oder den dynamischen Ulnavorschub (5, 6, 22). Häufig sind zystische Verände r ungen und eine subchondrale Sklerosierung im Bereich der distalen Ulna, des ulnaren Mondbeines oder des radialen Dreiecksbeines zu sehen, in fortgeschrittenen Stadien arthrotische Veränderungen im ulnaren Handgelenkkompartiment mit zusätzlichen Osteophyten. In diesen Stadien sind weitere Untersuchungen nicht unbedingt notwendig. Allerdings gibt eine MRTUntersuchung doch weitere Auskünfte über die betroffenen Strukturen (Abb. 2), (22). So kann z. B. die Beschaffenheit des TFCC beurteilt werden oder in früheren Stadien lassen sich ein subchondrales Ödem und Knorpelveränderungen im Bereich des Mondbeines darstellen. Ein MRTArthrografie kann zudem nähere Informationen über die Integrität des LTBandes liefern (22–24). Ein streng seitliches Röntgenbild zeigt die Position der Ulna im DRUG und eine etwaige dorsale (Sub)Luxation (13).
Behandlung
Beim ersten Auftreten von Symptomen ist zunächst ein konservatives Vorgehen gerechtfertigt. Dies beinhaltet abhängig vom Leidensdruck eine kurzzeitige Ruhigstellung, immer aber eine Belastungsreduktion und gewisse Schonung sowie Vermeidung von schmerzauslösenden Bewegungen und Aktivitäten. Zusätzlich sollte eine entzündungshemmende Therapie mit nichtsteroidalen Antiphlogistika und evtl. eine Steroidinfiltration durchgeführt werden. Sollte die konservative Therapie nicht erfolgreich sein, ist die operative Therapie indiziert.
Das Ziel der operativen Versorgung ist die Verkürzung der Ulna im Verhältnis zum Radius, um damit eine Reduktion der Lastübertragung über das ulnarseitige Handgelenk zu erzielen. Auch wenn verschiedene Therapieoptionen bestehen, so sind doch die beiden häufigsten die Ulnaverkürzungsosteotomie und die arthroskopische WaferProzedur. Auf die anderen Verfahren soll in diesem Artikel nicht näher eingegangen werden (25–30).
Der Vollständigkeit halber seien auch noch die häufigsten Verfahren, welche bei zusätzlicher Arthrose des DRUG zur Anwendung kommen, erwähnt: Hierzu zählen die Ulnaköpfchenprothese, die Resektion des Ulnaköpfchens nach Darrach oder die Heimresektion nach Bowers sowie die Arthrodese des DRUG nach Sauvé Kapandji. Schlussendlich muss erwähnt werden, dass in Fällen einer erworbenen Radiusverkürzung mit sekundärem relativen Ulnavorschub wie nach einer Radiusfraktur evtl. die Korrekturosteotomie des Radius zu bevorzugen ist.
Ulnaverkürzungsosteotomie
Die Ulnaverkürzungsosteotomie wurde zuerst von Milch 1941 beschrieben (27). Sie bleibt die Standardtherapie zur Behandlung des Ulnaimpaktionssyndroms, mit der alle anderen Verfahren verglichen werden. Auch wenn sowohl die Ulnaverkürzungsosteotomie als auch die WaferProzedur erfolgreich den Druck im ulnokarpalen Kompartiment reduzieren, so gibt es doch bestimmte Situationen, in denen der Verkürzungsosteotomie der Vorzug zu geben ist. Sollte z. B. zusätzlich zum ulnokarpalen Impaktionssyndrom ein prominenter Processus styloideus ulnae mit einem Styloidimpaktionssyndrom vorliegen, ist eine Ulnaverkürzungsosteotomie zufavorisieren (26, 35). Die WaferProzedur allein adressiert das Styloidimpaktionssyndrom nicht. Liegt zusätzlich zum Ulnaimpaktionssyndrom eine dorsale Subluxation der Ulna vor, bietet die Ulnaverkürzungsosteotomie ebenfalls Vorteile. Eine Studie von Baek et al. zeigt, dass in solchen Fällen eine Ulnaverkürzungsosteotomie die Subluxationsstellung reduziert (13). Die Wafer Prozedur kann eine Verkürzung von maximal 3 mm erzielen. Ist anhand der präoperativen Planung eine größere Verkürzung notwendig, ist ebenfalls eine Ver kürzungsosteotomie indiziert. In Fällen mit Instabilitäten des LTBandes sollte auch eher eine Osteotomie durchgeführt werden. Auch wenn keine wissenschaftlichen Beweise hierzu vorliegen, so scheint diese doch den gesamten ulnokarpalen Komplex zu stabilisieren.
OP-Technik
Die Osteotomie wird am Übergang vom distalen zum mittleren Drittel durchgeführt. Üblicherweise wird eine quere oder schräge Osteotomie durchgeführt. Die Fixation erfolgt in der Regel mit einer Plattenosteosynthese mit zusätzlicher Kompression. Mittlerweile existieren von unterschiedlichen Anbietern spezielle Plattensysteme, welche das operative Vorgehen erleichtern. Die Inzision beginnt 4 cm proximal des DRUG, die Länge richtet sich nach der Länge der geplanten Plattenosteosynthese. Jeweils sechs Kortizes, d. h. drei Schraubenlöcher, sollten sowohl proximal als auch distal der Osteotomie besetzt sein (13, 43). Manche Platten besitzen zusätzlich ein schräges Gleitloch zum Anbringen einer Kompressionsschraube senkrecht zur Osteotomie.
Die Präparation verläuft zwischen der ECU und der FCUSehne direkt auf die Ulna. Zwischen Streck und Beugeloge liegt die Ulna subkutan und ist gut zu tasten. Das Periost wird längs inzidiert und dorsal und plantar bis zur Membrana interossea präpariert. Die Platte wird vor der Osteotomie anmodelliert und mindestens ein Plattenloch, am besten distal, besetzt, da die Ulna nach der Osteotomie instabil wird. Zusätzlich sollte entweder proximal ein Gleitloch besetzt werden (die modernen Plattensysteme bieten hierzu eine Möglichkeit) oder eine Markierung in Längsrichtung gemacht werden, um eine Rotationsfehlstellung bei der Fixierung zu vermeiden. Bei Ulnaplusvarianz sollte die Länge der Ulna postoperativ 0 bis 1 im Verhältnis zum Radius betragen, bei der seltenen Ulnaminusvarianz die dynamische positive Varianz ausgleichen (36). Biomechanische Untersuchungen haben gezeigt, dass eine Verkürzung der Ulna den Druck im DRUG erhöht (37). Deshalb sollte die Verkürzung nach dem Motto „so viel wie nötig, so wenig wie möglich“ durchgeführt werden. Eine schonende Präparation des Periostes und gute Kompression sind entscheidend, um die Pseudarthroserate gering zu halten. Wir bevorzugen eine palmare Plattenlage mit guter Weichteildeckung (Abb. 3, postoperatives Ergebnis Abb. 4).Bei Verdacht auf eine instabile TFCC Läsion oder LTInstabilität sollte zusätzlich eine Handgelenkarthroskopie in Erwägung gezogen werden. Dies erlaubt eine gleichzeitige Therapie (Debridement, LTArthrodese/Drahtfixierung) dieser Veränderungen.
Nachbehandlung
Abhängig von der Stabilität der Osteosynthese sollten die Unterarmdrehbewegungen für zwei Wochen eingeschränkt werden. Hierzu wird unmittelbar postoperativ ein Oberarmcast angelegt. Nach zwei Wochen können kontrollierte Bewegungen durchgeführt werden. Die Osteotomie ist nach durchschnittlich drei Monaten konsolidiert. Nichtsdestotrotz sollte das Implantat nicht vor 18 Monaten postoperativ entfernt werden.
Ergebnisse
Die Resultate der Ulnaverkürzungsosteotomie sind gut und reproduzierbar. In diversen Studien zeigten sich postoperativ eine deutliche Verbesserung des Mayo Wrist Scores, des DASH, des Bewegungsumfanges, der Kraftentwicklung, der Schmerzsymptomatik sowie eine hohe Patientenzufriedenheit (13, 38–41). Die häufigsten Komplikationen sind eine verzögerte oder ausbleibende Durchbauung der Osteotomie sowie ein störendes Implantat. Die durchschnittliche Pseudarthrosenrate beträgt ca. 5 %. Faktoren wie Nikotinabusus allerdings erhöhen die Rate deutlich, diverse Autoren sehen hierin eine relative Kontraindikation (42).
Die WaferProzedur
Die WaferProzedur wurde erstmalig von Feldon 1992 beschrieben (11, 12). Hierbei wird eine dünne Scheibe (Wafer) der distalen Ulna reseziert. Dies kann sowohl offen als auch arthroskopisch durchgeführt werden (Abb. 5). Dadurch kann wie bei der Ulnaverkürzungsosteotomie die Lastübertragung über das ulnokarpale Kompartiment reduziert werden. Constantine et al. haben die Ulnaverkürzungsosteotomie und die WaferProzedur bzgl. Schmerzreduktion und Funktion verglichen und dabei ähnliche Ergebnisse beobachtet. Die Komplikationsrate bzw. Reoperationsrate war aufgrund von Pseudarthrosen und Implantatproblemen in der Osteotomiegruppe höher (44). Dies wurde von anderen Autoren bestätigt (45). Der Vorteil der WaferProzedur liegt also in der geringeren Komplikations und Reoperationsrate. Allerdings beträgt die maximal mögliche Resektion des Ulnadomes 3 mm. Wie vorher bereits erwähnt, wird zudem weder das Styloidimpaktionssyndrom adressiert noch eine dorsale (Sub)Luxation der Ulna verbessert. Insgesamt stellt die WaferProzedur bei der korrekten Indikationsstellung eine gute Alternative zur Ulnaverkürzungsosteotomie unter Vermeidung o. g. Komplikationen dar.
Zusammenfassung
Das Ulnaimpaktionssyndrom ist eine häufige Ursache ulnarseitiger Handgelenksschmerzen. Meistens liegen eine Ulnaplusvarianz oder ein relativer Ulnavorschub nach in Verkürzung ausgeheilter Radiusfraktur vor.
Bei Verdacht auf Ulnaimpaktionssyndrom und Ulnaminusvarianz sollte ein positiver Ulnavorschub in radiologischen Stressaufnahmen ausgeschlossen bzw. nachgewiesen werden. Eine MRTUntersuchung gibt weitere Auskunft über Veränderungen im Bereich des Mondbeines, des Dreiecksbeines und der distalen Ulna. Die klinischen Provokationstests sollten die Beschwerden und Schmerzen des Patienten reproduzieren, andere Ursachen des ulnarseitigen Handgelenkschmerzes wie ECUTendinitis sollten ausgeschlossen werden. Bei erfolgloser konservativer Therapie besteht die operative Therapie in einer Verkürzung der Ulna gegenüber dem Radius. Bei Ulnaplusvarianz sind die häufigsten Verfahren die Ulnaverkürzungsosteotomie und die Wafer Prozedur. Die Vor und Nachteile dieser beiden Verfahren müssen für jeden Patienten individuell abgewogen werden. So ist z. B. die WaferProzedur beim Styloidimpaktionssyndrom ungeeignet, bei in Fehlstellung verheilten Radiusfrakturen eine Radiuskorrekturosteotomie u. U. sinnvoller.