Oktober 2019 – Ausgabe 34

Das Rotationsalignment von Knie-Total-Endoprothesen in der 3D Ganganalyse

In der internationalen Literatur besteht weitgehende Übereinkunft darüber, dass bei der endoprothetischen Versorgung des Kniegelenkes ein möglichst anatomisches (prä-arthrotisches) Alignment und eine möglichst physiologische Kinematik erreicht werden soll. Es existiert jedoch auch eine kontrovers geführte Debatte darüber, mit welchen Techniken und Implantaten dieses Ziel am zuverlässigsten erreicht werden kann.

Vor diesem Hintergrund haben wir bei Patienten mit beschwerdehaften Knieprothesen zusätzlich zum klinischen und radiologischen Analysealgorithmus dreidimensionale Ganganalysen durchgeführt und sind dabei auf klinisch relevante Ergebnisse gestoßen.

Die Versorgung von Kniegelenken mit Endoprothesen gehört zu den erfolgreichsten orthopädischen Operations-methoden mit exzellenten Langzeitergebnissen. Leider zeigt die Literatur trotzdem einen relativ hohen Anteil an Patienten mit persistierenden Schmerzen nach der Implantation von totalen Knieendoprothesen, der zwischen 8,0 –   26,5 % je nach Studie angegeben wird. Damit wird bei den Knien ein deutlich schlechteres Ergebnis erreicht als nach der Implantation von Hüftendoprothesen. Analysiert man diese Ergebnisse weiter, so verbleibt nach dem Ausschluss von Infektionen, Implantatlockerungen und Instabilitäten sowie Materialversagen ein relativ hoher Anteil an Patienten mit unklarer Schmerzursache. In den letzten Jahren wurde die Rotationsabweichung des Knieprothesen-Alignements in verschiedenen Publikationen immer wieder als kritischer Faktor bestätigt, der solche Schmerzzustände verursachen kann.

Die 3D-Bildgebung mit einer Computertomographie ist notwendig, um diese Problematik in der klinischen Untersuchung zu adressieren und gehört in der ATOS Klinik Heidelberg, wie in vielen anderen Zentren, zum diagnostischen Standard. Die bekanntesten CT-Untersuchungsprotokolle sind die nach Berger und Perth. Dabei handelt es sich um statische radiologische Methoden, welche am entlasteten Bein durchgeführt werden. Um in dieser Problematik zu neuen Erkenntnissen zu kommen, setzten wir mit der instrumentierten dreidimensionalen Ganganalyse ein zusätzliches dynamisch-funktionelles Diagnostikum ein und legten erstmals neben der Gelenkkinematik in der Sagittal- und Frontalebene einen Fokus auf die Gelenkrotation in der Transversalebene.

Patienten und Methode

In unserer Studie wurden 12 überwiesene Patienten mit beschwerdehaften Knieprothesen eingeschlossen (n=12, 7 Frauen, 5 Männer) mit einem Durchschnittsalter von 63,3 Jahren (SD ±11,4). Es bestand eine durchschnittliche Nachuntersuchungszeit von 18,5 Monaten nach der Erstimplantation der Knieprothesen. Alle Prothesenimplantationen wurden aufgrund einer fortgeschrittenen Gonarthrose und nicht in unserem Haus durchgeführt. Alle Patienten litten unter persistierenden Schmerzen und einem reduzierten Bewegungsausmaß ihres künstlichen Kniegelenkes.

Eine Infektion, Lockerung, Instabilität und ein Materialversagen wurden im Vorfeld ausgeschlossen.

Neben unserem klinischen Diagnose-Algorithmus inklusive der Durchführung der Rotationsbestimmung mit einer Computertomographie erfolgte die instrumentierte 3D Ganganalyse am am Motion Lab der Heidelberger Universitätsklinik. Als Vergleichsgruppe wurde ein bezüglich des Alters und Geschlechts gematchtes gesundes Vergleichskollektiv gewählt. Das Votum des lokalen Ethikkomitees wurde eingeholt.

Berger-Protokoll

Die radiologische Rotationsauswertung erfolgte nach dem Berger Protokoll und unter Berücksichtigung der geschlechtsspezifischen Normalwerte (6). Berger et al. konnten bereits 1998 in ihrer Untersuchung ein Fehlgleiten der Patella mit Subluxation bei einer kombinierten Innenrotation (femoral und tibial) der Knieprothesen von 3 –   7 Grad feststellen. Bei 7 –   17 Grad Rotationsabweichung wurde über eine verstärkte Symptomatik mit lateraler Instabilität berichtet.

3D Ganganalyse

Die instrumentierte 3D Ganganalyse erfolgte nach einem standardisierten Protokoll und wurde immer von dem gleichen Untersucher durchgeführt. Sie beinhaltete eine körperliche Untersuchung, eine Videoanalyse und die kinematische Analyse. Die kinematische Analyse erfolgte mit einem 12 Kamera Vicon-System (Oxford Metrics, Oxford UK). Die Patienten wurden mit passiven Bewegungsmarkern nach dem konventionellen Ganganalyse Protokoll nach Kadaba et al. ausgestattet. Es folgte die Erhebung von Raum-Zeit-Parametern und der kinematischen Parameter der betroffenen Seite sowie der Gegenseite. In der sagittalen Ebene wurde die Funktion der Kniegelenke beurteilt und in der trans-versalen Ebene die Rotation der unteren Extremitäten über den Gangzyklus ermittelt.

Statistik

Die statistische Analyse erfolgte mit SPSS (IBM, Armonk, USA). Der Gruppenvergleich wurde mit dem Student ́s t-test für die parametrischen und mit dem Mann-Whitney U-test für die nicht-parametrischen Daten durchgeführt. Zusätzlich wurde eine Korrelationsanalyse nach Pearson für die Rotationsdaten durchgeführt.

Ergebnisse

Die Funktionsanalyse der Raum-Zeit-Parameter zeigte im Vergleich zwischen der Patientengruppe mit Schmerzen und der gesunden Vergleichsgruppe für die erste Gruppe eine signifikant reduzierte Schrittgeschwindigkeit, eine reduzierte Schrittlänge und weniger Schritte pro Minute bei erhöhter Schrittdauer.Die Beweglichkeitsanalyse der betroffenen Seite im Vergleich zur kontralateralen Seite zeigte eine reduzierte Standphasenbeugung und damit Stoßdämpfer-Funktion und eine deutlich reduzierte Schwungphasen beugung der künstlichen Gelenke.

Die Rotationsanalyse der endoprothetisch ersetzten Seite zeigte eine signifikant vermehrte Außenrotation der Tibia (16,9° ±8,1°) zur sagittalen Femurachse und damit vermehrte Innenrotation der Endoprothese (11,9±10,9).Sowohl die endoprothetisch ersetzte Seite als auch die kontralaterale Seite der schmerzhaften Knieprothesenpatienten zeigten eine vermehrte Außenrotationsstellung der Hüfte und kompensierend eine vermehrte Innenrotationsstellung der Sprunggelenke im Vergleich zum gesunden Kollektiv, wobei die Beckenrotation und Fußausrichtung keinen Unterschied aufwies.

Die Korrelationsanalyse der Rotationsdaten erbrachte eine starke negative Korrelation zwischen der Rotation der Sprunggelenke in der Ganganalyse und der tibialen Rotation im Berger Protokoll der CT Analyse (PCC= -0,714, p= 0,009).

Limitierende Faktoren der Studie

Unsere Studie wurde durch verschiedene Faktoren limitiert, so wurde nur eine relativ geringe Patientenzahl analysiert und eine gematchte Kontrollgruppe verwendet. Weiterhin fehlte ein direkter prä- versus post-operativer Vergleich und die Rotations-CT Bestimmung des Hüft- und oberen Sprunggelenkes. Trotz dieser Einschränkungen erbrachte unsere Pilotstudie klinisch interessante und relevante Ergebnisse und ist unseres Wissens die erste Studie, die radiologische, klinische und ganganalytische Rotationsdaten von Knieprothesen verglich.

Fazit

Offenbar gibt es ein Patientenkollektiv mit einem erhöhten Risiko für Rotationsabweichungen bei der Implantation von Knieendoprothesen und damit für persistierende Schmerzzustände. Merkmale dieser Patientengruppe bestanden in unserer Untersuchung in einer vermehrten Außenrotationsstellung des Hüftgelenkes und in einer kompensatorisch vermehrten Innenrotationsstellung des Sprunggelenkes. Es ist leicht vorzustellen, dass die vermehrte Innenrotationsstellung des Sprunggelenkes gegenüber der Tibia zu einem ebenso vermehrt innenrotierten zweiten Strahl des Fußes führt. Richtet nun ein unerfahrener Operateur die Tibia-Komponente der Knieprothese allein nach diesem zweiten Strahl aus, so kann dies zur Innenrotationsabweichung der Prothese führen und damit dauerhafte Schmerzen verursachen. Bei der Knieprothesenimplantation unserer Patienten erfolgt deshalb vor Indikationsstellung zur Prothese eine sorgfältige klinische Evaluation der Rotationsparameter der gesamten unteren Extremität. Weiterhin wird bei der Implantation ein größerer Wert auf die kniegelenksnahen anatomischen Landmarken gelegt.

Weitere Studien, die klinische Parameter mit CT-Messungen und mit Ganganalysedaten vergleichen, sind notwendig, um diese Zusammenhänge zu bestätigen und um stärker belastende Tätigkeiten wie zum Beispiel das Treppensteigen zu analysieren.

Von Michael W. Maier und Rudi G. Bitsch