Oktober 2020 – Ausgabe 36
Das geschwollene Kniegelenk – nicht immer ist ein Verschleiß oder eine Verletzung die Ursache!
Keywords: Knie, Erguss, Arthrose, Arthritis, Gelenkpunktion, Synovialflüssigkeitsanalyse
Patienten suchen häufig orthopädische Praxen wegen Schmerzen und Schwellungen von Gelenken auf – oft im Bereich des Kniegelenks. Meistens ist die Ursache ein Verschleiß des Gelenks (z. B. Knorpel- oder Meniskusschaden, Arthrose etc.) oder ein Unfall (z. B. Kreuzbandriss nach Knieverdrehtrauma etc.). Allerdings kann sich eine Gelenkschwellung auch ohne Über-/Fehlbelastung oder Unfallereignis entwickeln.
Der vorliegende Beitrag entstand in Kooperation zwischen Orthopädie (IZO) und Rheumatologie in der ATOS Klinik Heidelberg und verdeutlicht die Arbeitsweise des Interdisziplinären Arthrosezentrums.
In der ATOS Klinik arbeiten KollegInnen aus den Bereichen der Orthopädie, Unfallchirurgie, Rheumatologie, Orthopädietechnik und Physiotherapie im Inter- disziplinären Arthrosezentrum (IAZ) eng zusammen. Das IAZ ist von der Deutschen Gesellschaft für Arthrosemanagement (DGFAM) zertifiziert. In vielen Fällen kann in diesem Zentrum durch eine genaue Anamnese (Erhebung der Krankengeschichte), körperliche Untersuchung und Bildgebung der Grund der Gelenkbeschwerden rasch gefunden werden. Falls sich allerdings keine schlüssige orthopädischunfallchirurgische Ursache finden lässt, müssen andere Ursachen erwogen werden. Insbesondere dann ist die Kooperation zwischen Orthopädie und Rheumatologie von Bedeutung, da auch eine Vielzahl rheumatischer Erkrankungen den Gelenkbeschwerden zugrunde liegen kann.
Rheumatische Erkrankungen sind sogenannte Systemerkrankungen, bei denen alle Gelenke, Sehnen und inneren Organe involviert sein können. Zu den großen Gruppen der entzündlichrheumatischen Erkrankungen zählen die Rheumatoide Arthritis (die häufigste Form des „Rheumas“), die Spondyloarthritiden (Erkrankungen der Wirbelsäule, Sehnen und Gelenke), die Kollagenosen (entzündliche Bindegewebserkrankungen) sowie die Vaskulitiden (entzündliche Gefäßerkrankungen). Wenn lediglich ein Gelenk, z. B. das Kniegelenk, geschwollen ist, spricht man von einer Monoarthritis.
Analyse der Synovialflüssigkeit zur Diagnostik
Zur Differenzierung der Ursache einer unklaren Gelenkschwellung ist die Analyse von Gelenkflüssigkeit sehr hilfreich. Hierzu wird das betroffene Kniegelenk „punktiert“ und die Flüssigkeit aus dem Gelenkspalt abgezogen. Dies führt zu einer unmittelbaren Beschwerdelinderung durch Entlastung des geschwollenen Gelenks und ermöglicht die genaue Untersuchung der punktierten Flüssigkeit. Auch kann ein Medikament (z. B. Kortison) zur Behandlung der Beschwerden in das betroffene Gelenk gespritzt werden. Die gewonnene Gelenkflüssigkeit wird mikroskopisch untersucht. Diese „Synovial flüssigkeitsAnalyse“ erfolgt durch die KollegInnen der Rheumatologie. Neben dem makroskopischen Aspekt (klar, trüb, blutig) ist vor allem die Bestimmung der Leukozytenzahl wichtig. Zuerst erfolgt eine Polarisationsmikroskopie, bei der meist in wenigen Sekunden schon zwischen einem zellarmen einem und zellreichen Punktat unterschieden werden kann. Danach wird die Zahl der Leukozyten in der BürkerZählkammer genau bestimmt. Des Weiteren wird immer nach richtungsweisenden Kristallen gesucht, wie sie z. B. bei einer Gicht zu finden sind, und eine mikrobiologische Untersuchung veranlasst, damit eine bakterielle Ursache der Gelenkerkrankung nicht übersehen wird. Bei Punktaten aus Gelenken mit Prothesen kann auch Materialabrieb erkannt werden. Diese Untersuchungen können richtungsweisende Befunde für eine er 2 folgreiche Therapie ergeben.
Fallbericht
Eine 48jährige Patientin – ehemals HandballLeistungssportlerin – stellte sich im November 2018 bei Prof. Christoph Becher im IZO vor, um eine orthopädische Zweitmeinung wegen einer im August aufgetretenen, anhaltenden Schwellung des rechten Kniegelenks (Abb. 1) zu erhalten.
Heimatnah war eine zweimalige Punktion des Kniegelenks erfolgt. Der Erguss wurde jeweils abgezogen, durch bakteriologische Untersuchung eine Infektion aus- geschlossen sowie Kortison und mehrfach Hyaluronsäure intraartikulär injiziert. Diese Maßnahmen führten nur zu einer passageren Besserung der Symptomatik; Hyaluronsäure hatte keinen positiven Effekt. Der Patientin wurde daraufhin eine Arthroskopie empfohlen; danach wandte sie sich an Professor Becher.
Die mitgebrachte Bildgebung einschließlich MRTDiagnostik zeigte eine initiale Arthrose mit bereits deutlichen Knorpelschäden und einen ausgeprägten Kniegelenkerguss (Abb. 2) bei intaktem Band apparat. Bei der klinischen Untersuchung fand sich ein erheblich geschwollenes, nicht gerötetes und nicht wesentlich überwärmtes Kniegelenk rechts mit endgradiger Bewegungseinschränkung und Bewegungsschmerz. Sonografisch bestätigte sich der ausgeprägte Kniegelenkerguss.
Zur weiteren Abklärung führte Prof. Becher eine Kniegelenkpunktion durch, bei der 40 ml einer leicht trüben, gelblichen Flüssigkeit gewonnen werden konnte (Abb. 3). Die unmittelbar danach erfolgte Analyse der Gelenkflüssigkeit (Abb. 4) im Zentrum für Rheumatologie ergab den Nachweis eines entzündlichen Ergusses mit 4.500 Leukozyten pro Mikroliter und somit den Hinweis auf eine entzündlichrheumatische Ursache der Kniegelenkschwellung.
Die weitere rheumatologische Abklärung erbrachte keine richtungsweisenden serologischen Befunde, d. h., die Marker für eine Rheumatoide Arthritis, Rheumafaktor und Anti CCP, für eine Spondyloarthritis, der genetische Marker HLA B27, und Marker für seltene rheumatologische Erkrankungen waren unauffällig. Die genannten Erkrankungen sind deshalb weniger wahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen. Auffällig waren die Entzündungswerte, die Blutsenkung betrug 50 mm in der ersten Stunde (Normwert kleiner 20) und der CRPWert 35 mg /l (Normwert ≤ 5 mg/l).
Da bei der Patientin etwa vier Wochen vor dem erstmaligen Auftreten der Kniebeschwerden ein grippaler Infekt mit MagenDarmBeteiligung bestanden hatte, wurde die Diagnose einer reaktiven Arthritis gestellt. Die reaktive Arthritis gehört zur Erkrankungsgruppe der Spondyloarthitiden.
Es erfolgte eine orale Therapie mit einem Kortisonpräparat (Prednisolon) über etwa sechs Wochen mit sukzessiver Dosisreduktion sowie eine rheumatologische Basistherapie mit Sulfasalazin. Hierunter verbesserte sich die Symptomatik rasch und war nach 6 Wochen abgeklungen, sodass die Patientin wieder beschwerdefrei Sport treiben konnte. Die Entzündungsparameter normalisierten sich. Hilfreich war dabei, dass die Patientin Physiotherapeutin ist und durch intensive Physiotherapie einschließlich Lymphdrainage den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen konnte. Der weitere Verlauf war erfreulich, nur selten traten noch leichte Beschwerden auf. So konnte die Therapie mit Sulfasalazin nach einem Jahr schrittweise reduziert und nach circa 1,5 Jahren beendet werden. Die Patientin ist weiterhin beschwerdefrei.
Fazit
Der Fall verdeutlicht die Bedeutung der interdisziplinären Zusammenarbeit von Orthopäden, Unfallchirurgen und Rheumatologen und die Notwendigkeit einer differenzierten Analyse von Gelenkpunk taten bei unklaren Gelenkschwellungen. Auch bei PatientInnen mit bekanntem Kniebinnenschaden und/oder Arthrose – wie bei unserer Patientin – muss ins besondere wenn das Ausmaß der Gelenkschwellung nicht mit den strukturellen Gelenkschäden korreliert oder die Anamnese nicht richtungsweisend ist, differenzialdiagnostisch an eine rheumatologische Ursache gedacht werden. Durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit können unklare Fälle rascher gelöst und die entsprechende Therapie eingeleitet werden.