Oktober 2025 – Ausgabe 46

Beidseitige Knieendoprothetik mit individuellem Implantat

Prof. Dr. med. Christoph Becher

Prof. Dr. med. Christoph Becher
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Implantation einer Knieendoprothese mit individuellem Implantat

Die Individualisierung ist in vielen Bereichen unseres Lebens ein großes Thema und wird auch im Bereich der Kniegelenkendoprothetik in den letzten Jahren zunehmend diskutiert. Obwohl die Implantation einer Knietotalendoprothese bei fortgeschrittener Arthrose ein nachgewiesen erfolgreicher operativer Eingriff ist – mit besseren Ergebnissen in Bezug auf dauerhafte Schmerzreduktion im Vergleich zum konservativen Vorgehen [1] –, wird dieser Eingriff in den Medien eher negativ mit dem Stempel „unnötige Operation“ mit „unzufriedenen Patienten“ versehen. Dies motivierte in den letzten Jahren zu Veränderungen und erzeugte ein grundsätzliches Umdenken in Bezug auf die Philosophie des Vorgehens.

Die Größen und Formvarianten der konventionellen Knieprothesen können bisher kaum die Variabilität des menschlichen Kniegelenks abdecken. Es wurde gezeigt, dass ein Überhang der Implantate das Risiko von residualem Schmerz und Steifigkeit erhöht und die funktionellen Ergebnisse negativ beeinflusst [2, 3].

Um dies zu verbessern, wurde das Konzept der patientenspezifischen Anpassung der Knieimplantate durch die individuelle Origin®-Knieendoprothese (Fa. Symbios Orthopédie SA, Yverdon-les-Bains, Schweiz) zwischen 2012 und 2017 weiterentwickelt und ist seit 2018 CE-zertifiziert. Dieses System wurde designt, um die native, präarthrotische Anatomie des Kniegelenks wiederherzustellen. Dabei wird auch darauf geachtet, sowohl die originäre (präarthrotische) Beinachse als auch die Schrägheit der Gelenklinie zu reproduzieren.

Zunächst erfolgt eine Schnittbildgebung (Computertomographie) mit 3D-Rekonstruktion von Hüfte, Knie und Sprunggelenk, um eine detaillierte Visualisierung der Patientenanatomie in dreidimensionaler Form zu erhalten. Mithilfe einer 3D-Kniesimulation wird ein Modell der ursprünglichen Knieanatomie erstellt (KNEE-PLAN®-Technologie). Knöcherner Abrieb und arthrotische Deformität werden beurteilt und während der 3D-Rekonstruktion korrigiert. Ziel ist ein „natürliches“ Kniegefühl unter geringerer Invasivität des operativen Vorgehens mit größtmöglichem Erhalt der Knochensubstanz. Die exakte Implantation der Prothese wird durch das gleichzeitig spezifisch hergestellte Instrumentarium gewährleistet.

Gleichzeitige beidseitige Implantation einer Knieendoprothese

Nicht selten betrifft die Osteoarthrose allerdings nicht nur ein Knie, sondern ist in beiden Knien in gleich ausgeprägter Form vorhanden. Bei Fehlstellungen der Beinachsen (z. B. bei X- oder O-Beinen) kann die Implantation einer Prothese auf einer Seite eventuell nochmals zu einer deutlichen Verstärkung der Problematik auf der anderen Seite führen. Die gleichzeitige beidseitige Implantation einer Endoprothese an den Knien wird allerdings kontrovers diskutiert [4–7]. Vorteile sind neben der gleichzeitigen Korrektur von Fehlstellungen auch die Zeitersparnis für den Patienten durch nur einmalige Vorbereitung des Eingriffs, eine verkürzte Aufenthaltsdauer im Krankenhaus bzw. in einer Reha-Klinik und insgesamt eine verkürzte Behandlungszeit auch in Bezug auf die Nachbehandlung. Zu beachten sind allerdings auch potenzielle Nachteile einer durchschnittlich höheren peri- und postoperativen Komplikationsrate durch die verlängerte Operationszeit, einen größeren Blutverlust, eine längere Narkosezeit und erschwerte postoperative Mobilisation.

Fallbericht

Vorstellung eines 54-jährigen Patienten (1,86 m, 145 kg) mit Beschwerden beider Knie schon seit 15 bis 20 Jahren. Eine Gewichtsabnahme wurde bereits eingeleitet mit Reduktion von 15 kg in den letzten Monaten. Links bestehen dauerhaft Beschwerden (bei Belastung und auch in Ruhe), rechts nur unter Belastung. Beide Knie schwellen belastungsabhängig an. Konservative Maßnahmen wurden durch Hyaluronsäureinjektionen sowie kürzlich durch Röntgenreizbestrahlung durchgeführt ohne einen dadurch auftretenden positiven Effekt. Physiotherapie wird durchgeführt. Bedarfsweise Einnahme von Diclofenac als Schmerzmittel.

In der klinischen Untersuchung finden sich varische Beinachsen (O-Beine) beidseits. An beiden Knien reizlose Haut- und Weichteilverhältnisse mit Erguss rechts > links. Beidseits endgradig schmerzhaft eingeschränkte Beweglichkeit mit Extension/Flexion 0-10-120° links und 0-10-130° rechts. Der Bandapparat ist stabil.

Entscheidung zur Implantation einer Knietotalendoprothese beidseits im Rahmen einer Operation mit der individuellen Origin®-Knieendoprothese. Die Planung (Abb. 1) zeigt die varischen Beinachsen von 9° bds. und die Korrekturplanung auf 2° nach der Implantation. Auf den postoperativen Röntgenaufnahmen (Abb. 2) zeigt sich eine korrekte Implantatlage.

Aus der Anschlussheilbehandlung (AHB) schickte die Frau des Patienten 16 Tage nach dem Eingriff eine E-Mail: „Meinem Mann geht es sehr gut. Aktuell befindet er sich in der Reha und macht dort jeden Tag große Fortschritte. Die OP an beiden (!) Knien wird in der Reha und auch von vielen anderen Bekannten, Patienten etc. mit großer Bewunderung angesehen.“ Bei der Nachkontrolle drei Monate nach dem Eingriff berichtet der Patient, keine größeren Beschwerden im Alltag zu haben, teilweise noch eine leichte belastungsabhängige Schwellneigung. Im Rahmen der internistischen Routinekontrolle zum Ausschluss einer tiefen Beinvenenthrombose (TVT) wurde rechtsseitig eine Thrombose der Vena tibialis posterior nachgewiesen mit dadurch entsprechender Anpassung der Medikation zur Antikoagulation. Die Thrombose war zwei Monate nach dem Eingriff aufgelöst, die Medikation wurde daraufhin gestoppt. Bei der klinischen Untersuchung zeigten sich an beiden Knien reizlose Haut- und Weichteilverhältnisse mit noch leichter periartikulärer Weichteilschwellung und intraartikulärem Erguss rechts > links. Die Beweglichkeit betrug Extension/Flexion 0-5-135° rechts und 0-0-135° links. Beim Durchbewegen bestanden typische Geräusche durch das Prothesenmaterial. Der Bandapparat war stabil. Seither erfolgte keine weitere Vorstellung.

Diskussion und Fazit

Der technologische Fortschritt erbringt in der Knieendoprothetik klar ersichtliche Vorteile für den Patienten. Insbesondere aktive jüngere bzw. jung gebliebene Patienten können von dem Einsatz neuer Technologien profitieren. Moderne Technologien in Verbindung mit verbesserter Kenntnis über die für die Funktion und Kinematik des Kniegelenks wichtigen morphologischen Parameter ermöglichen die Rekonstruktion des arthrotischen Gelenks mit der originären Beinachse und Gelenklinie unter Vermeidung von Prothesenüberständen und Kompromissen oder technisch-operativen Tricks, welche für eine Standardprothese häufig notwendig sind.

In einer aktuell veröffentlichten Vergleichsstudie der Origin®-Knieendoprothese mit einer Standardprothese zeigten sich zwei Jahre postoperativ statistisch signifikant bessere Score-Ergebnisse mit einer Zufriedenheit von 92 % der Origin®-Gruppe im Vergleich zu 84 % der Gruppe der Patienten mit Standardprothese [8]. Die eigenen Erfahrungen bestätigen diese guten Frühergebnisse. Ob bei generalisierter Anwendung nicht nur durch Spezialisten im Vergleich zum konventionellen Vorgehen insgesamt bessere Ergebnisse und längere Standzeiten der Prothesen mit geringeren Revisionsraten erreicht werden können, gilt es allerdings noch durch die weitere Erhebung von Daten zu beweisen.

Bei der beidseitigen Implantation einer Knieendoprothese sind allgemein am meisten die internistischen peri- und postoperativen Komplikationen gefürchtet. Im Vergleich zur einseitigen Knietotalendoprothesen-Versorgung besteht eine signifikant erhöhte Rate an Lungenembolien, Schlaganfällen und eine signifikant erhöhte Notwendigkeit an Bluttransfusionen bei der Patientengruppe, welche gleichzeitig eine beidseitige Versorgung erhielten. Insgesamt sind die Unterschiede allerdings in Bezug auf die Gesamtzahl als gering zu werten, so war z. B. die Rate an Lungenembolien um 0,13 % bei beidseitiger Versorgung erhöht (Gesamt: 0,27 % vs. 0,14 %) und die Rate von Schlaganfällen war um 0,07 % bei beidseitiger Versorgung erhöht (Gesamt: 0,13 % vs. 0,06 %). Deutlich erhöht war allerdings das Risiko der Notwendigkeit einer Bluttransfusion mit einer Gesamtrate von 5,23 % bei der beidseitigen versus 0,67 % bei der einseitigen Knieprothesenimplantation [7]. Entsprechend diesen Daten sollten diese medizinischen Hintergründe mit dem Patienten kritisch diskutiert werden. Patienten mit kardialer Vorerkrankung, beispielsweise stattgehabtem Herzinfarkt oder tiefer Beinvenenthrombose mit Lungenembolie oder Schlaganfall, kommen in der Regel nicht für die gleichzeitige beidseitige Versorgung einer Knietotalendoprothese infrage.

Allerdings ist bei beidseitigen Versorgungen auch der Einsatz der individuellen Knieprothese ORIGIN® mit den steril gelieferten Einmalinstrumenten durch die verkürzte OP-Zeit und die nicht notwendige femorale Markraumeröffnung vorteilhaft. Letztendlich ist dies eine individuelle Entscheidung, welche insbesondere bei schweren Arthrosen mit deutlicher Einschränkung der Belastungsfähigkeit und vorliegenden Achsdeformitäten beidseits besonders vorteilhaft sein kann.

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