Oktober 2025 – Ausgabe 46
Prävention von Fuß- und Sprunggelenkverletzungen
Prof. Dr. med. Norbert Harrasser
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Fuß- und Sprunggelenkverletzungen gehören zu den häufigsten Verletzungen im Alltag und im Sport, insbesondere bei Aktivitäten mit schnellen Richtungswechseln und direktem Gegnerkontakt. Daher sind Entwicklung und Implementierung effektiver präventiver Strategien von großer Bedeutung.
Schon seit jeher wird beispielsweise Dehnen als Teil einer Aufwärmstrategie vor dem Training oder dem Wettkampf zur Vorbeugung von Verletzungen empfohlen. Neuere Erkenntnisse deuten jedoch darauf hin, dass Dehnen als singuläre Intervention möglicherweise keinen Nutzen im Rahmen der Primärprävention vor Verletzungen der unteren Extremität bringt [1]. Ungeachtet davon kann die Bedeutung der Prävention leicht durch Schätzungen unterstrichen werden, wonach sich beispielsweise in Großbritannien jährlich 22 Millionen Sportverletzungen ereignen [2].
Allerdings gelten gut 50 % der deutschen Bevölkerung als körperlich inaktiv (Empfehlung der WHO: >2,5 Stunden Ausdaueraktivität pro Woche). Die Kosten körperlicher Inaktivität mit den entsprechenden Folgeerscheinungen belaufen sich für Industriestaaten in einem Bereich von vielen Milliarden Euro pro Jahr und sind somit möglicherweise größer als für Fettleibigkeit, Alkoholmissbrauch und Rauchen zusammen. Es ist daher wichtiger denn je, Menschen zu körperlicher Aktivität zu ermutigen. Eine unvermeidliche Folge zunehmender körperlicher Aktivität ist jedoch eine erhöhte Inzidenz von muskuloskelettalen Verletzungen. Häufige Präventionsstrategien, speziell für Fuß- und Sprunggelenkverletzungen, sollen im Folgenden kurz hinsichtlich ihrer Evidenz erörtert werden.
Propriozeptive Trainingstrategien
Beispiele für propriozeptives Training des Sprunggelenks sind das Balancieren auf einem Bein mit geschlossenen Augen, auf einem Wackelbrett oder auf einem Bein verbunden mit der Ausführung einer Aufgabe, beispielsweise dem Fangen oder Werfen eines Balls. Für alle Strategien konnte ein sekundärpräventiver Effekt hinsichtlich Reduktion von Rezidiv-Sprunggelenkdistorsionen nachgewiesen werden. Der Effekt auf die Erstereignisse ist günstig, aber statistisch nicht immer eindeutig [3]. Unabhängig davon sollten propriozeptive Strategien, speziell im Leistungsbereich, routinemäßig eingesetzt werden, da die Kosten-Nutzen-Rechnung von Aufwand zu Benefit eindeutig in Richtung Benefit zu sehen ist.
Streching
Obwohl viele Theorien zu den potenziellen Vorteilen und Grenzen von Dehnungsübungen der Muskulatur an der unteren Extremität veröffentlicht wurden, ist die Evidenz hinsichtlich des Nutzens bei der Verletzungsprävention im Fuß- und Sprunggelenkbereich nicht überzeugend [4]. Nichtsdestotrotz ist Stretching ein elementarer Bestandteil für präventive Strategien speziell im Kniegelenkbereich mit nachgewiesenem Effekt [2], sodass es auch im Sprunggelenkbereich, vor allem im Bereich der Wadenmuskulatur, großzügig empfohlen werden sollte (Abb. 1).
Taping/Bracing
Sowohl für das stabilisierende Taping als auch für die Verwendung von Orthesen ist ein präventiver Effekt bezüglich des Auftretens von Sprunggelenkdistorsionen für Primär- wie Rezidivereignisse nachgewiesen [3]. Beide Techniken scheinen ähnlich wirkungsvoll zu sein, weshalb die Entscheidung für die eine oder andere Technik eine persönliche Präferenz oder auch sportartspezifische Praktikabilität darstellt. Auch das deutlich weniger rigide Kinesio-Tape scheint aufgrund einer günstigen Beeinflussung der Propriozeption einen protektiven Effekt hinsichtlich Sprunggelenkdistorsionen zu haben.
Schuhwerk
Die Art des Schuhwerks scheint keinen Effekt auf die Inzidenz von Sprunggelenkdistorsionen [3] und anderen Fußverletzungen [5] zu haben. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass sich Athleten in der Schuhauswahl vor allem auf das subjektive Kriterium „Komfort“ verlassen [6]. Nichtsdestotrotz ist davon auszugehen, dass unter gegebenen biomechanischen Voraussetzungen des Fußes (z. B. erhöhter Rückfußvalgus) spezielle Schuhformen (z. B. breite Fersenauftrittfläche) als günstiger oder ungünstiger zu bezeichnen sind. Evidenzbasierte Empfehlungen können diesbezüglich aufgrund der aktuellen Literatur jedoch nicht ausgesprochen werden.
Einlagen
Stützende Schuheinlagen können primär-präventiv wirksam einem Schienbeinkantensyndrom und auch Ermüdungsbrüchen der Metatarsalia, der Tibia und des Femurs vorbeugen, wohingegen sich allein dämpfende Einlagen mit Weichbettung als unwirksam bei der Vorbeugung von Fußverletzungen jeder Art – akuten und Überlastungsverletzungen – erwiesen haben [7]. Wenngleich eine Vielzahl an Studien zu dieser Fragestellung existiert, so sind methodische Schwächen im Design der Studien als wesentlicher limitierender Faktor zu nennen. Es bleibt somit nach wie vor eine individuelle Entscheidung, für welche Einlagenform sich Arzt und Patient entscheiden werden.
Fazit
Viele gesundheitspolitische Programme zielen darauf ab, den Bewegungsmangel der Bevölkerung wirksam zu bekämpfen und dessen Folgen mit den enormen volkswirtschaftlichen Kosten zu reduzieren. Präventionsprogramme zur Vermeidung von Verletzungen, welche im Leistungssport schon seit Jahren etabliert sind, spielen somit im Freizeitbereich und bei Hobbysportlern eine wichtige Rolle. Wenngleich für viele präventive Interventionen nur eine mäßige Evidenz vorliegt, sollte sich jeder Sportbegeisterte mit etablierten Präventionsstrategien auseinandersetzen, um das Risiko vermeidbarer Verletzungen mit entsprechenden Folgeproblemen effektiv zu reduzieren.