Oktober 2025 – Ausgabe 46
Prävention von Hüft- und Leistenbeschwerden im Sport
Dr. med. Alexander Mayer
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Verletzungen und Überlastungsschäden der Hüft- und Leistenregion (Hip and Groin Injury – HAGI) sind für fast 20 % aller „Time-Loss Injuries“ verantwortlich. Die genaue Ursache der Beschwerden herauszufinden, ist aufgrund der komplexen Anatomie genauso anspruchsvoll wie die daraus erfolgende Therapie. Im folgenden Artikel sollen die Anatomie sowie mögliche Ursachen, Präventions- und Behandlungsstrategien näher dargestellt werden.
Mittlerweile hat der Begriff HAGI (Hip and Groin Injury) die oftmals missverständliche Nomenklatur wie „Sportlerleiste“, „Osteitis pubis“ oder „weiche Leiste“ abgelöst. Im Doha Agreement wurde festgelegt, dass hierunter Affektionen der Adduktoren, des Leistenkanals, der Symphyse, des M. iliopsoas und des Hüftgelenkes zusammengefasst werden.
Aktuelle Studien der UEFA zeigen, dass 60 % aller HAGI zu einer Ausfallzeit von mehr als einer Woche führen, ein Fünftel aller Athleten fällt sogar länger als einen Monat aus. Typische Ursachen sind vor allem in den Ballsportarten explosive Richtungswechsel und multiplanare Bewegungen in einer Einbeinstandphase.
Versucht man alle möglichen Ursachen der Beschwerden einzugrenzen, fällt zunächst die große Anzahl an beteiligten anatomischen Strukturen auf (Abb. 1): Zu den knöchernen gehören der Hüftkopf, das proximale Femur mit Schenkelhals, die Hüftpfanne und das Schambein. Die Adduktoren-Muskulatur mit den dazugehörigen Sehnen, der M. iliopsoas und M. rectus femoris mit ihren Sehnen als extraartikuläre Strukturen sowie der Gelenkknorpel, das Labrum und die Symphyse als intraartikuläre Anteile. Auch Störungen im Bereich der Wirbelsäule können Leistenschmerzen verursachen, mitbeeinflussen oder vortäuschen. Der Vollständigkeit halber sollen neurale Strukturen noch erwähnt werden.
Beträgt der Prozentsatz von HAGI über alle Sportarten hinweg zwischen 10 und 15 %, gibt es Hochrisikosportarten, in denen er auf 10 bis 23 % ansteigt. Die Risikominimierung für HAGI ist das große Ziel aller Beteiligten, die dokumentierte Erfolgsrate ist aber eher gering, überwiegend beschränkt auf den Profisport (Fußball, Eishockey) und oft durch „Bias“ (Voreingenommenheit der Untersucher) verfälscht.
Es gilt also, Risikofaktoren zu identifizieren. Nicht beeinflussbar sind Verletzungen in der Vorgeschichte, das Alter, der Zeitpunkt der Verletzung in der Saison sowie die individuelle Anatomie. Letztere muss sehr kritisch beurteilt werden, da Veränderungen – z. B. eine Cam-Deformität am Schenkelhals oder Sehnenveränderungen – oftmals auch bei asymptomatischen Athleten gesehen werden und als physiologische Anpassungsphänomene interpretiert werden können. Eine reduzierte Gesamtrotationsfähigkeit des Hüftgelenkes von 85°, ein positiver FADIR-Test und ein eingeschränktes Viererzeichen wurden u. a. als Risikofaktoren identifiziert. Legt man die untersuchte Population an Hochleistungsathleten zugrunde, müssten dann eigentlich ganze Athletenpopulationen als risikobehaftet eingestuft werden. Natürlich liegt es nahe, Bewegungseinschränkungen zu verbessern, bislang konnte aber nicht nachgewiesen werden, dass es hierdurch zu einer Risikominimierung kommt.
Von deutlich größerem Interesse sind naturgemäß veränderbare Faktoren wie Rumpf- und Beinkraft, spezielle Bewegungsmuster und Veränderungen im Training. Kraftmessungen, insbesondere absolute und relative Kraftentwicklung der Adduktoren sowie der Hüftbeuger und -strecker, stehen im Fokus. Allerdings sind die Messungen, selbst wenn sie in unterschiedlichen Positionen erfolgen, nach wie vor kaum geeignet, die komplexen Abläufe auf dem Spielfeld auch nur annähernd nachzuvollziehen. Auch gibt es unterschiedliche Anforderungsprofile in den Sportarten, so wird ein Tennisspieler niemals eine so hohe Maximalgeschwindigkeit wie ein Fußballspieler erreichen, dafür sind Scherkräfte durch ständige Seitbewegungen und stumpfe Böden wesentlich höher. Da die meisten Studien retrospektiv durchgeführt wurden, gibt es auch kaum eine Evidenz, die eine Risikostratifizierung bei asymptomatischen Patienten ermöglicht. Es gibt lediglich zwei systematische Review-Artikel, die mit einer geringen Evidenz zeigen konnten, dass eine Kräftigung der Adduktoren- und Rumpfmuskulatur zu einer verringerten Anfälligkeit für HAGI führt.
Kurzum, es gilt aktuell nach wie vor der Grundsatz: Intervention vor Identifikation. Da, wie beschrieben, die Studienlage für die reine Betrachtung von HAGI dünn ist, müssen wir auf allgemeinere Daten zur Prävention von Verletzungen der unteren Extremitäten zurückgreifen. Für das femoroazetabuläre Impingement (FAI) gibt es ausreichend valide Untersuchungen, die zeigen, dass Patienten, die sich einer operativen Maßnahme unterziehen, im Gegensatz zu konservativ behandelten Patienten eine deutliche Verbesserung der klinischen Symptomatik erreichen. Eine zu postulierende Risikoreduktion für die Entwicklung von Knorpelschäden konnte bislang aber nicht nachgewiesen werden.
Es gibt eine gut fundierte Datenlage, dass Präventionsprogramme zu einer Verringerung von Verletzungen der unteren Extremitäten führen. Die Programme beinhalten Übungen für Technik, Balance, neuromuskuläre Übungen inklusive Kräftigung und plyometrisches Training. Man kann sicher annehmen, dass es durch diese Programme zumindest positive Einflüsse auf Leisten- und Hüftprobleme gibt. Wie nicht anders zu erwarten, unterscheiden sich diese aber bzgl. der einzelnen Sportarten. Die meisten Studien gibt es – auch das nicht verwunderlich – im Fußball.
Eine Reduktion von Verletzungen der unteren Extremitäten zwischen 30 und 70 % wurde dokumentiert, mit einem Vorteil für FIFA 11. Zusätzlich gibt es bei beiden Programmen eine signifikante Verbesserung der motorischen und neuromuskulären Funktionen, was zu einer verbesserten Performance auf dem Spielfeld führt. Auch die sogenannte „nordic hamstring“-Übung, ein exzentrisches Training für die hintere Oberschenkelmuskulatur, zeigt eine signifikante Reduktion von Verletzungen. Es sollte also ein Leichtes sein, gerade im Amateursport mit einfachen Mitteln, die lediglich etwas Zeit in Anspruch nehmen, das Verletzungsrisiko zu reduzieren und gleichzeitig athletische Fähigkeiten zu verbessern.
Im Eishockey konnte der größte Effekt zur Verletzungsreduktion durch Änderungen im Regelwerk erzielt werden, im Tanzsport gibt es kaum Effekte. Beim Volleyball sind Übungen zur Reduktion des vorderen Knieschmerzes und Balance-Board-Training effektiv, im Basketball sind vor allem ein Training der Sprung-Lande-Technik, propriozeptive Übungen, sportartspezifische Balanceübungen, aber auch das FIFA-11-Programm wertvoll und hilfreich.
Ein vor allem im deutschsprachigen Raum etabliertes, von der Deutschen Kniegesellschaft (DKG) herausgebrachtes und wissenschaftlich gut fundiertes Präventionstool zur Vermeidung einer vorderen Kreuzbandverletzung ist das STOP-X-Programm.
Wir verlassen jetzt langsam das ursprüngliche Thema der HAGI. Die Datenlage ist hier – wie bereits erläutert – aber dünn, sodass wir auf andere Präventionsprogramme zurückgreifen müssen und meiner Ansicht nach auch durchaus dürfen. Man kann davon ausgehen, dass in Deutschland ein professionelles Athletik- und Präventionstraining in den führenden Sportarten, wie Fußball bis in die dritte Liga, im Handball und Basketball sowie Eishockey bis in die zweite Liga und im Volleyball wahrscheinlich nur in der ersten Bundesliga, etabliert ist. Alle unterklassigen Vereine in Sportarten, die mit HAGI konfrontiert sind, dürften wahrscheinlich sogar unabhängig von der jeweiligen Sportart von der Anwendung o. g. Programme profitieren.
Mitentscheidend kann hier das Wording sein: „Prävention“ wird sich vor allem im Jugendbereich nur schwer verkaufen lassen. Bezeichnen wir das Ganze als „Athletiktraining“, sollten die Akzeptanz und damit auch der Erfolg deutlich höher sein.
Fazit
Die Studienlage zur Prävention von HAGI ist eher dünn, die Studienlage zur allgemeinen Verletzungsprävention an den unteren Extremitäten dagegen ist gut. Von daher gilt die allgemeine Empfehlung, die o. g. Programme frühzeitig und vielfältig zu nutzen und vor allem jüngeren Sportlern als Athletiktraining zu „verkaufen“.
„Die Datenlage zur Prävention von ‚Hip and Groin Injuries‘ ist dünn, sodass wir auf andere Präventionsprogramme zurückgreifen müssen und auch dürfen.“