Oktober 2025 – Ausgabe 46
Prävention von Schulter- und Ellenbogenbeschwerden in Beruf und Sport
Prof. Dr. med. Marc Schnetzke
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Dr. med. Sven Lichtenberg
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Prof. Dr. med. Markus Loew
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Julia Lecke
Felix Stasch
Schulter- und Ellenbogengelenke gehören zu den am stärksten belasteten Strukturen des menschlichen Bewegungsapparats. Ihre hohe Beweglichkeit und Komplexität ermöglichen funktionelle Präzision – im Alltag ebenso wie im Sport. Gleichzeitig sind diese Gelenke aufgrund ihrer funktionellen Abhängigkeit von umliegenden Muskelgruppen und der kinetischen Kette besonders anfällig für Überlastungsbeschwerden. In der klinischen Praxis treten Beschwerden an Schulter und Ellenbogen häufig nicht traumatisch, sondern funktionell-mechanisch bedingt auf. Ziel dieses Artikels ist es, auf Basis aktueller Evidenz typische Risikokonstellationen zu identifizieren und durch gezielte präventive Übungen Schäden an Schulter und Ellenbogen zu vermeiden.
Der Beitrag besteht aus zwei Teilen: Beschreibung von Risikofaktoren und typischen Überlastungsschäden (Teil 1) und praktischen Übungen (Teil 2).
Teil 1: Modifizierbare Risikofaktoren
Skapuladyskinesie: Ein unterschätzter Prädiktor
Die Skapuladyskinesie beschreibt eine gestörte Positionierung oder Bewegung des Schulterblattes und ist insbesondere bei Überkopfsportlern ein etablierter Risikofaktor für Schulterverletzungen. Kibler et al. unterteilen sie in drei Typen: Typ I (mediale Scapulakante prominent), Typ II (medialer Rand flügelt ab), Typ III (kraniale Verlagerung). Ursachen sind muskuläre Dysbalancen, mangelnde Rumpfstabilität und eine inadäquate Aktivierung der unteren Trapezius- und Serratus-Anteile.
In einem systematischen Review identifizieren Hoppe et al. (2022) die Skapuladyskinesie als signifikanten Risikofaktor für Schulterverletzungen bei Volleyballspielern und Werfern. Auch bei nicht sportlichen Bevölkerungsgruppen, insbesondere bei Büroangestellten mit protrahierter Sitzhaltung, ist eine dysfunktionale Skapulakinematik zu beobachten (Abb. 1).
Krafttraining: Mehr Schaden als Nutzen?
Obwohl Krafttraining grundsätzlich gelenkstabilisierend wirkt, birgt einseitiges Training ohne Fokus auf die Rotatorenmanschette und ohne skapulothorakale Kontrolle erhebliche Risiken. Insbesondere bei vorderlastigem Training (Bankdrücken, Schulterdrücken) kommt es zur relativen Schwäche der Außenrotatoren und der unteren Skapulamuskulatur. Dies fördert Impingement-Symptome und funktionelle Instabilität. Zusätzlich zeigen Studien Hinweise auf Knorpelschäden durch übermäßige Belastung: Englund et al. (2023) fanden bei High-Load-Training erhöhte Spiegel knorpelabbauender Biomarker (C2M, huARGS) – ein indirekter Marker für degenerative Prozesse (Abb. 2).
Belastung durch Überkopfsport
Baseball, Handball, Tennis und Volleyball erzeugen hohe Scher- und Zugkräfte im Schulter- und Ellenbogengelenk. Matsel et al. (2021) berichten von einer Verletzungsrate von über 50 % bei jugendlichen Baseballspielern im Verlauf einer Saison. Belastungssteigerungen ohne Regenerationszeit, fehlende Rumpfstabilität und mangelhaftes Techniktraining werden als Hauptursachen genannt.
Typische Überlastungsschäden
Schulter
Die Schulter ist ein biomechanisch hochkomplexes Gelenk, das auf das koordinierte Zusammenspiel zwischen Glenohumeralgelenk, Schulterblatt (Scapula), Schlüsselbein und der umgebenden Muskulatur angewiesen ist. Bereits geringe Abweichungen in der Funktion – insbesondere eine Skapuladyskinesie – können eine Kaskade an Überlastungsschäden auslösen.
Typische Überlastungsfolgen sind:
- Subakromiales Impingement: Durch eine fehlerhafte Skapulabewegung oder muskuläre Dysbalance kommt es zu einer relativen Enge im subakromialen Raum, was die Sehnen der Rotatorenmanschette mechanisch irritiert.
- Tendinopathien von Supraspinatus und Infraspinatus: Eine chronische Überbeanspruchung durch fehlende Entlastung in der exzentrischen Phase der Armhebung führt zu struktureller Sehnendegeneration.
- SLAP-Läsionen (Superior Labrum Anterior to Posterior): Besonders bei Überkopfsportarten können Scherkräfte im Gelenkknorpelbereich der oberen Gelenklippe Schäden verursachen, häufig verbunden mit einer Bizepssehnenreizung.
- Bizepssehnensyndrome: Die lange Bizepssehne läuft durch den Schultergelenkraum und ist bei fehlerhafter Skapulabewegung verstärkten Zug- und Scherkräften ausgesetzt.
- Arthritis des Schultereckgelenkes (AC-Gelenk): Wiederholte Lastübertragungen bei Kraftübungen wie Bankdrücken führen zu mikrotraumatischen Reizungen mit späterer Gelenkdegeneration.
Ellenbecker et al. (2020) zeigen, dass bereits eine um 20 % reduzierte Energieübertragung aus dem Rumpf zu einer um 34 % erhöhten Beanspruchung der Schulterrotatoren führen kann – ein zentrales Argument für die Integration der Rumpfstabilität in präventive Trainingsansätze.
Ellenbogen
Werferellenbogen
Der mediale Ellenbogen ist bei Wurfbewegungen besonders belastet. Valgusstress führt zur Überlastung des ulnaren Seitenbands (UCL), die laterale Seite wird komprimiert. Bei starker Beanspruchung des UCL insbesondere bei Jugendlichen kann dies zu einer Insuffizienz sogar bis zur Ruptur des UCL hinauslaufen. Langfristig kann die repetitive Wurfbelastung zur Ausbildung von freien Gelenkkörpern, Osteophyten und posteriorem Impingement führen.
Epikondylopathien
Laterale (Tennisellenbogen) und mediale (Golferellenbogen) Epikondylopathien sind durch Mikrotraumatisierung und degenerative Umbauprozesse an den Ursprüngen der Handgelenksstrecker bzw. -beuger charakterisiert (Tabelle 1). Sie treten sowohl bei sportlich Aktiven als auch bei Menschen mit repetitiver Alltagsbelastung auf.
Die kinetische Kette
Die Schulter-Ellenbogen-Einheit funktioniert nicht isoliert. Einschränkungen im Becken, in der LWS oder der Rumpfstabilität bedingen kompensatorische Bewegungsmuster proximal und distal. Kibler et al. beschreiben dies als „proximale Energieleckage“, die eine Überforderung der distalen Strukturen bedingt. Training und Rehabilitation müssen daher integrativ aufgebaut sein: Core-Stabilität, Skapulakontrolle und koordinative Ansteuerung sind essenzielle Bestandteile eines jeden Präventionskonzepts.
Teil 2: Präventive Übungen
Trainingsreize fördern die Synthese und Ausrichtung von Kollagen in Sehnen und Gelenken und erhöhen somit deren Belastbarkeit. Ohne diese Reize ist die Belastbarkeit des Sehnengewebes bei sprunghaften Belastungsänderungen oder traumatischen Ereignissen oft nicht ausreichend, sodass es zu Verletzungen kommen kann. Mögliche Folgen sind schmerzhafte Zustände wie Tendinopathien bis hin zu strukturell irreversiblen Verletzungen. Deshalb sollten bei Schulter- und Ellenbogengelenken regelmäßige und adäquate Belastungsreize gesetzt werden.
Die folgenden sechs Übungen beugen funktionellen Engpässen vor und optimieren die Stellung des Oberarmkopfes. Außerdem optimieren die Übungen das Zusammenspiel aller Gelenkpartner sowie die Belastbarkeit der anfälligsten Sehnenstrukturen von Schulter und Ellenbogen.
Prinzipiell sollte bei keiner der folgenden Übungen in einen schmerzhaften Bereich hineintrainiert werden. Bei gelegentlichen Sehnenproblematiken ist während des Trainings und am Tag danach ein diskreter Schmerz (NAS 3/10) tolerabel. Bei mehr Schmerzen sollte die betroffene Sehne angepasster belastet werden, oder die Übung – insofern in den nächstfolgenden Einheiten bei gleichem Trainingsreiz keine symptomatische Verbesserung eintritt – sollte umgestellt werden. Über ein Belastungsmanagement können Sie z. B. den gewählten Widerstand, das Tempo der Bewegung oder die Kontraktionsform (isometrisch/exzentrisch/konzentrisch) anpassen. Bleiben Sie bei Sehnenbeschwerden über Monate hinweg geduldig!
Neben dem Sehnentraining, das grundsätzlich progressiv und anstrengend gestaltet werden sollte (hier darf es auch mal brennen), sollte bei jeder koordinativen dynamischen Übung neben der Bewegungsqualität auch die Kontraktionsphase betont werden (nicht mit Schwung trainieren).
Als groben Richtwert empfehlen sich an drei Tagen pro Woche drei bis fünf Durchgänge mit je acht bis zwölf Wiederholungen bzw. 20 bis 40 Sekunden Haltedauer.
Übung 1: A-Pulls mit dem Gummiband
Diese Übung kräftigt vor allem die Muskeln, die das Schulterblatt führen, sowie die Außenrotatoren am Kugelgelenk. Wenn das Schulterblatt bei der Übung im richtigen Ausmaß angesprochen wird, findet ein optimales Zusammenspiel der Gelenkpartner statt. Die Rotatoren können nun auf dem „Fundament“ Schulterblatt solide Arbeit leisten und optimal Kraft aufbauen. Die Übung hilft vorbeugend gegen Engpassprobleme, beispielsweise der Supraspinatussehne, sowie gegen Haltungsschwäche am Arbeitsplatz.
Ausführung:
Befestigen Sie ein Gummiband auf Augenhöhe an einer Türklinke und nehmen Sie es mit beiden Händen, wobei Sie die Arme vor dem Körper locker gestreckt halten. Ziehen Sie im ersten Impuls die Schulterblätter aktiv nach hinten unten zusammen. Im zweiten Zugimpuls werden unter Spannung der Schulterblätter die beiden Bandenden in A-Form bis neben den Körper geführt, während Daumen und Ellenbogen nach außen gedreht werden. Die Ellenbogen bleiben dabei gestreckt.
Übung 2: Dehnung der Brustmuskeln im Stand
Ein zu starker kleiner Brustmuskel kann das Schulterblatt nach vorne unten ziehen. Dies kann wiederum zu einer ungünstigen Positionierung der Schultergelenkspfanne führen. Ein zu starker großer Brustmuskel kann ferner die Position des Oberarmkopfes in der Pfanne beeinflussen. Zudem wird bei Überkopfbewegungen und beim Heben der Arme die nötige Außenrotation durch die Innenrotationsfunktion des Muskels gehemmt. Lee et al. fanden in einer Studie heraus, dass allein durch das Dehnen der Pektoralismuskulatur die statische Maximalkraft der Schultermuskulatur zunimmt. Dies zeigt einen direkten Zusammenhang zwischen Beweglichkeit und Kraftausschöpfung auf.
Ausführung:
Im Ausfallschritt neben dem Türrahmen den Unterarm aufsetzen. Der Ellenbogen befindet sich auf Schulterhöhe. Nun das Körpergewicht auf das vordere Bein verlagern. Der Brustkorb bewegt sich mit, während der Arm liegen bleibt.
Übung 3: Besenstiel-Überzüge im Sitzen
Das häufigste Krankheitsbild, das nach längerer oder repetitiver Arbeit über Kopf auftritt, ist das subakromiale Impingement-Syndrom. Oft betroffen sind die Supraspinatussehne und die Bursa subacromialis. Mit dieser Übung wird neben der Wirbelsäulenstreckung das Schulterblattsetting auch bei Überkopfbewegungen trainiert, und es wird verhindert, dass der Oberarmkopf die Weichteile unterhalb des Schulterdachs einengt. Kibler et al. beschreiben die Wirbelsäulenextension als entscheidend für die korrekte Positionierung und Bewegung des Schulterblatts.
Ausführung:
Setzen Sie sich auf einen Stuhl und lehnen Sie den Oberkörper mit gestreckter Wirbelsäule über die Hüften. Greifen Sie nun mit beiden Händen einen Besenstiel, sodass diese etwa eine Armlänge voneinander entfernt sind. Je breiter Sie greifen, desto leichter wird die Übung. Ziehen Sie Ihre Schulterblätter nach hinten unten. Führen Sie nun den Stab nach oben in Richtung Decke. Blicken Sie dabei nach vorne. Mit gestreckten Ellenbogen setzen Sie einen Endimpuls, indem Sie die Oberarme weiter nach hinten schieben.
Übung 4: Isometrische Außenrotation mit dem Gummiband
Durch isometrisches Halten wird gezielt Muskelspannung aufgebaut, ohne dass es zu dynamischen Bewegungen kommt. In angepasster Intensität können die Außenrotatoren somit in jeder Gelenksituation nahezu schmerzfrei gekräftigt werden. Zudem werden die Sehnen in ihrer Belastbarkeit gestärkt, wodurch einem Sehnenabriss vorgebeugt wird.
Ausführung:
Setzen Sie sich und greifen Sie ein Gummiband mit beiden Händen. Drücken Sie die Ellenbogen eng in die Taille. Ziehen Sie die Schulterblätter wieder nach hinten unten. Bei 90° gebeugten Ellenbogengelenken ziehen Sie die Hände nun auseinander, ohne dass sich die Ellenbogen von der Taille wegbewegen.
Übung 5: Auf- und Abwickeln mit Gewicht (Prävention von Tennis- und Golferellenbogen)
Da die Epicondylitis (Tennis-/Golferellenbogen) die häufigste untraumatische Erkrankung des Ellenbogens ist, lohnt es sich, die Streck- und Beugesehnen präventiv zu kräftigen. Die exzentrische Belastung (aktives Nachgeben unter Last) unterstützt den Sehnenaufbau besonders, da sie die Kollagenneubildung anregt und die Belastbarkeit der Sehnenstruktur verbessert.
Ausführung:
Knoten Sie eine Kordel mittig an einen Besenstiel und fixieren Sie diese zusätzlich mit Klebeband. Befestigen Sie am unteren Ende ein Gewicht (z. B. eine Wasserflasche). Greifen Sie den Besenstiel von oben. Strecken Sie nun die Arme nach vorne, fixieren Sie die Schulterblätter und wickeln Sie das Gewicht auf. Danach wickeln Sie das Gewicht betont langsam wieder ab.
Prävention Tennisellenbogen: Wickeln Sie das Gewicht auf, als wollten Sie auf einem Roller Gas geben, indem Sie die Handrücken zur Decke ziehen.
Prävention Golferellenbogen: Wickeln Sie das Gewicht auf, als wollten Sie auf einem Roller vom Gas gehen, indem Sie die Handknöchel in Richtung Boden bewegen (Tab. 1).
Übung 6: Einarmiger Serratus-Push
Der Musculus serratus anterior wird durch den Stütz trainiert. Er ist ein Schlüsselmuskel für die Koordination zwischen Schulterblatt und Armbewegung. Zudem begünstigt eine verminderte Aktivität des Serratus eine erhöhte Aktivität des oberen Trapezius. Ludewig und Cook fanden heraus, dass dies bei Menschen mit subakromialem Impingement häufig der Fall ist. Bei dieser Übung wird eine komplette kinetische Kette beansprucht: Vor allem die Rumpfmuskulatur, die Schulterblattmuskulatur und die Rotatorenmanschette müssen zusammenarbeiten.
Ausführung:
Nehmen Sie eine einarmige Liegestützposition ein – je höher Sie sich abstützen, desto leichter wird die Übung. Ihr Ellenbogen bleibt dabei immer gestreckt. Achten Sie darauf, die Schulter beim Stützen weg vom Ohr zu ziehen. Halten Sie Ihren Oberkörper über dem Arm waagerecht und spannen Sie den Bauch an. Drücken Sie sich weg, sodass sich der Brustkorb nach hinten bewegt, und kehren Sie dann in die Ausgangsstellung zurück.
Fazit
Überlastungsschäden im Schulter- und Ellenbogenbereich sind meist funktionellen Ursprungs. Eine frühzeitige Identifikation von Skapuladyskinesie, muskulärer Dysbalance und technikbedingten Fehlern ist essenziell. Krafttraining sollte individuell angepasst und skapulothorakal ausgewogen gestaltet werden. Die vorgestellten Übungen sind gezielte präventive Übungen für Alltag und Sport zur Vermeidung von Überlastungsschäden an Schulter- und Ellenbogengelenken.