Mai 2025 – Ausgabe 45
Meine wichtigsten Erfahrungen in 30 Jahren Sportmedizin
Prof. Dr. med. Holger Schmitt
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Kommt es bei Sportlerinnen und Sportlern zu Verletzungen, so wird man als Sportmediziner häufig sehr schnell mit der Frage konfrontiert: Wann kann ich wieder Sport machen? Je leistungsstärker die Athletinnen und Athleten sind, desto intensiver ist der Wunsch nach schnellstmöglicher Regeneration. Bei Profisporttreibenden steht häufig ein betreuendes Team zur Verfügung, das in Abstimmung mit allen Beteiligten den frühestmöglichen Einsatz unter Schonung der verletzten Region ermöglicht. In den vergangenen 30 Jahren, die ich als Betreuer von Weltmeisterinnen und Weltmeistern sowie Olympiamedaillengewinnerinnen und
-gewinnern bis hin zu Freizeitsporttreibenden überblicke, wurde in verschiedenen Bereichen die Betreuung erheblich optimiert.
Operative Behandlungsmethoden
Ein wesentlicher Beitrag zur deutlich verbesserten Behandlung von Gelenkverletzungen ist der Entwicklung arthroskopischer Operationsverfahren zuzuschreiben. Durch minimalinvasive Eingriffe kann insbesondere an den großen Gelenken
(Schulter, Hüfte, Knie und Sprunggelenk) das Operationstrauma gering gehalten werden, und die verletzte Struktur kann gewebeschonend repariert werden. Betrachtet man z. B. die Behandlung der häufig vorkommenden vorderen Kreuzbandruptur, so erreichten nach offenen Eingriffen in den 1990er Jahren nur etwa 50 % der Verletzten ein hohes Sportfähigkeitsniveau.
Heutzutage kann man bei optimaler Rehabilitation unter professionellen Bedingungen eine Wiederkehr zum Sport aufdemselben Niveau wie vor der Verletzung in über 80 % erwarten durchschnittlich neun Monate nach operativer Versorgung (Daten aus der NBA). Auch die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Spätschäden – in den meisten Fällen Arthrose – konnte durch die minimalinvasiven Techniken reduziert werden. Die Möglichkeiten der Behandlung von Knorpelschäden haben sich ebenfalls erheblich weiterentwickelt. Nach dem Ende des Körperlängenwachstums sind zwar suffiziente körpereigene Reparaturmechanismen im Organismus weiterhin nicht möglich. Je nach Ausprägung der Knorpelschädigung stehen heute allerdings zahlreiche Behandlungsoptionen zur Verfügung, mit denen Regenerate wie auch hyalinartige Knorpel zu einem Defektüberzug führen und damit zumindest mittelfristig Gelenke erhalten können, die auch wieder sportlich belastbar sind.
Sportfähigkeit im Alter
Bei einer immer gesünderen alternden Bevölkerung ist auch der Drang nach Bewegung und sportlicher Aktivität ausgeprägter vorhanden als früher. Viele Menschen, die vor oder nach dem Eintritt ins Rentenalter stehen und bereits in der Jugend körperlich aktiv waren, wollen sich dies auch für das weitere Leben erhalten. Die Lebensqualität wird bei vielen durch körperliche Bewegung und Sport teilweise auch noch mit erheblichem Leistungsanspruch definiert. Eine geschulte Körperwahrnehmung und die Einflüsse moderner Trainingskonzepte ermöglichen somit auch in höherem Lebensalter sportliche Aktivitäten, auch wenn sich das Sportartenspektrum von den hochexplosiven zu den eher ausdauerorientierten Sportarten im Alter zunehmendverschiebt. Die Entwicklung moderner Gelenkersatzmethoden gerade an den großen belasteten Gelenken Hüfte und Knie erlaubt den Menschen, selbst nach Gelenkersatz teilweise unglaubliche sportliche Leistungen zu erbringen. Hier helfen neuartige Designs der Prothesen, immer schonendere Operationsverfahren und die zunehmende Kenntnis über postoperativ sinnvolle Rehabilitationsmaßnahmen erheblich, den Funktionszustand des betroffenen Gelenkes zu verbessern und den Wiedereinstieg in den Sport zu ermöglichen. Selbst intensive Belastungen, z. B. Skilaufen, Tennisspielen oder diverse leichtathletische Disziplinen, sind mit Kunstgelenken möglich.
Betreuung von Hochleistungssportlerinnen und -sportlern
Die wichtigste Erkenntnis zur Betreuung von Hochleistungssporttreibenden für mich über all die Jahre: Die bestmögliche Betreuung findet ausschließlich im Team statt. Jede einzelne Person kann nur einen gewissen Beitrag leisten, seies im verletzungsfreien Zustand zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit oder im verletzten Zustand zur Wiedererlangung der Sportfähigkeit.
Das Zusammenspiel von Athletinnen und Athleten, Trainingsleitung, Familie (bei Minderjährigen insbesondere die Eltern), Fitnesscoachs, Ernährungsberatenden, Mentalcoachs, Physiotherapeutinnen und -therapeuten sowie ggf. Personen mit weiteren Aufgaben und selbstverständlich von ärztlicher Betreuung ist entscheidend. Je nach Situation ist es allerdings für alle Beteiligten auch wichtig, sich nicht zu sehr in den Vordergrund zu rücken, das richtige Fingerspitzengefühl zu entwickeln, wann wo eingegriffen werden kann und soll. Je professioneller und erfolgreicher das Team agiert, desto mehr Einfluss nehmen zusätzlich die Medien auf alle Beteiligten. Auch der Umgang mit der Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit muss gelernt werden. Das betreuende Ärzteteam sollte sich im Hintergrund halten und den Prozess „von hinten“ begleiten, insbesondere um seine „medizinische Neutralität“ zu wahren. Somit lässt sich auch das emotionale Umgehen mit größten Enttäuschungen sowie höchsten Erfolgen im Team gemeinsam erleben.
Fazit
Die Entwicklung in der Sportmedizin in den letzten 30 Jahren hat die Therapieoptionen stark verbessert. Minimalinvasive Eingriffe ermöglichen eine schonende Reparatur von verletzten Strukturen. Kunstgelenke wurden entwickelt, mit denen sportliche Leistungen wieder erbracht werden können. Die Betreuung von Hochleistungssporttreibenden wurde professionalisiert und kann im gut funktionierenden Team die größten Erfolge erzielen. Körperliche Aktivität kann einen wesentlichen Beitrag zur Lebensqualität gerade auch im Alter liefern.