Oktober 2024 – Ausgabe 44
Kardiovaskuläre Prävention – Schwerpunkt Hypercholesterinämie
Dr. med. David Sinning
Schlüsselwörter: Kardiovaskuläres Risiko, Hypercholesterinämie, LDL-C, PCSK9
Kardiovaskuläre Erkrankungen stellen weiterhin die führende Todesursache dar, sie sind für etwa jeden dritten Todesfall verantwortlich. Zwar haben zuletzt Fortschritte bei der Versorgung akuter kardiovaskulärer Ereignisse zu einem Rückgang der Mortalität geführt. Primäre Zielsetzung sollte jedoch sein, die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten derartiger Ereignisse durch eine frühzeitigere Diagnostik und eine konsequentere Therapie der entsprechenden Risikofaktoren zu verhindern.
Etwa die Hälfte aller kardiovaskulärer Ereignisse, wie etwa Herzinfarkt und Schlaganfall, sind potenziell vermeidbar [1]. Hierbei kommt dem Risikofaktor Hypercholesterinämie ein besonders hoher Stellenwert zu: In einer weltweiten Fall-Kontroll-Studie war er im Vergleich mit anderen modifizierbaren Risikofaktoren mit dem höchsten Herzinfarktrisiko assoziiert [2]. Zudem ist die Hypercholesterinämie ein hochprävalenter Befund: In Deutschland zeigt sich bei etwa 60 Prozent aller Frauen und 55 Prozent aller Männer ein Gesamtcholesterin von ≥ 190 mg/dl [3].
LDL-C: Primärer behandelbarer Lipidparameter
Zwischen erhöhtem LDL-Cholesterin (LDL-C) und dem Risiko für das Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse besteht eine kausale Beziehung. Besonders eindrücklich zeigt sich dies beim Krankheitsbild der familiären Hypercholesterinämie (FH), bei der genetisch bedingt ein stark verminderter Abbau des LDL-C erfolgt. FH-Patienten weisen somit bereits von Geburt an erheblich erhöhte LDL-C-Spiegel auf. Atherosklerotische Folgeerkrankungen und kardiovaskuläre Ereignisse treten hier dann nicht selten bereits im jungen Erwachsenenalter auf [4]. Die FH verdeutlicht auch: Neben der alleinigen Höhe des LDL-C ist auch die Dauer der LDL-C-Erhöhung maßgeblich für das individuelle kardiovaskuläre Risiko.
Mit einer Absenkung des LDL-C kann die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse reduziert werden. Meta-Analysen zeigen eine lineare, etwa 20-prozentige Risikoreduktion pro medikamentöser Absenkung des LDL-C um 40 mg/dl [5]. Das Herz-Kreislauf-Risiko kann also umso günstiger beeinflusst werden, je intensiver und anhaltender das LDL-C reduziert wird.
Plaquestabilisierung durch intensive LDL-C-Reduktion
In der Mehrzahl der Fälle wird ein akutes kardiovaskuläres Ereignis durch eine Plaqueruptur verursacht (Abb. 1). Ein vulnerabler, rupturgefährderter Plaque ist charakterisiert durch einen lipidreichen Kern und eine nur dünne fibröse Schutzkappe. Rezente Studien aus dem Bereich der interventionellen Kardiologie haben vor diesem Hintergrund eindrücklich den günstigen Effekt einer intensiven LDL-C-Reduktion veranschaulicht. Letztlich konnte hier durch den Einsatz intravaskulärer Bildgebung gezeigt werden, dass medikamentös herbeigeführte, sehr niedrige LDL-C-Spiegel zu einer stärkeren Verdickung der Schutzkappe eines Plaques führen – bei Abnahme seines Lipidgehalts [6].
Diese Ergebnisse stützen das Konzept, dass mittels intensiver LDL-C-Reduktion eine Stabilisierung vulnerabler Plaques erreicht wird, wodurch sich das Risiko für eine Ruptur und somit für das Auftreten eines kardiovaskulären Ereignisses verringert. Bei der Behandlung von kardio-vaskulären Hochrisikopatienten sollte es bezüglich der LDL-C-Reduktion somit auch keinen unteren Grenzwert geben, allzumal keinerlei Hinweise für etwaige gesundheitliche Risiken aufgrund niedriger LDL-C-Werte existieren.
„Bei der Prävention kardiovaskulärer Ereignisse spielt die Reduktion des LDL-Cholesterins eine entscheidende Rolle.“
Behandlungsziele und ernüchternde Behandlungsrealität
Die aktuellen europäischen Leitlinien bestärken die LDL-C-Senkung als primäres Ziel zur Prävention atherosklerotischer Gefäßerkrankungen [7]. In Abhängigkeit des individuellen kardiovaskulären Risikos werden individuelle LDL-C-Zielwerte definiert. Patientinnen und Patienten mit einem kardiovaskulären Ereignis in der Vorgeschichte, aber auch FH-Patientinnen und -patienten mit mindestens einem weiteren kardiovaskulären Risikofaktor oder einer schweren Niereninsuffizienz sowie Diabetikerinnen und Diabetiker mit Endorganschaden weisen ein sehr hohes kardiovaskuläres Risiko auf. Hier sollten ein LDL-C-Zielwert von < 55 mg/dl und eine LDL-C-Reduktion um mindestens 50 Prozent vom Ausgangswert erreicht werden [7].
Leider zeigen sich aber auch in Deutschland deutliche Defizite bezüglich der leitliniengerechten Behandlungsqualität. So werden die LDL-C-Zielwerte bei mehr als der Hälfte aller Hochrisikopatienten verfehlt; verpasst wird also letztlich die Möglichkeit einer effektiveren Prävention. Eine entscheidende Ursache für die ausbleibenden Behandlungserfolge ist die unzureichende Ausschöpfung der zugelassenen medikamentösen Therapieoptionen [8].
Statine: Erste Wahl, aber häufig alleine nicht ausreichend
Zwar stellen Statine weiterhin die Erstlinientherapie zur LDL-C-Absenkung dar [7]; jedoch reicht eine Statin-Therapie alleine zur Zielwerterreichung häufig nicht aus.
Darüber hinaus stellen potenzielle Nebenwirkungen, insbesondere Statin-assoziierte muskuläre Symptome, ein relevantes Problem im Praxisalltag dar. Um LDL-C auch in diesen Fällen leitliniengerecht reduzieren zu können, sind zusätzliche bzw. alternative Therapieoptionen erforderlich. Erfreulicherweise sind mittlerweile bereits vier weitere medikamentöse Therapien zur LDL-C-Reduktion zugelassen (Abb. 2, Tab. 1).
Weitere orale Cholesterinsenker
Ezetimib vermindert die Resorption von Cholesterin und Phytosterinen aus dem Darm und den Gallenwegen. Wird Ezetimib zusätzlich zu einer Statintherapie eingesetzt, so resultiert dies in einer weiteren, ca. 20-prozentigen LDL-C-Reduktion. Ezetimib wird zumeist sehr gut vertragen; in der entsprechenden kardiovaskulären Endpunktstudie zeigten sich bezüglich Nebenwirkungen keine signifikanten Unterschiede im Vergleich mit einem Plazebo [9]. Die Therapie mit Ezetimib wird derzeit als Zweitlinientherapie nach Statinen bei nicht erreichtem Therapieziel empfohlen [7]. Zudem erscheint es zielführend, wenn Patientinnen und Patienten mit einem sehr hohen kardiovaskulärem Risiko bereits von Beginn an mit einer Kombinationstherapie aus hochdosiertem Statin und Ezetimib behandelt werden [10].
Bempedoinsäure gelangt nach oraler Gabe als sogenanntes Prodrug in die Leber, wo sie aktiviert wird und dann die ATP-Citrat-Lyase inhibiert. Dies resultiert in einer verminderten hepatischen Cholesterinsynthese und in der Hochregulation von LDL-Rezeptoren auf der Leberzelloberfläche, sodass LDL-C im Plasma reduziert wird. Die hepatisch aktivierte Bempedoinsäure wirkt letztlich somit im gleichen Stoffwechselweg wie die Statine, wenngleich an früherer Stelle.
Da aber das aktivierende Enzym in Skelettmuskelzellen nicht exprimiert wird, erfolgt hier auch keine Aktivierung der Bempedoinsäure, was ein Auftreten muskulärer Symptome unter dieser Therapie weniger wahrscheinlich werden lässt. Im vergangenen Jahr wurden die positiven Ergebnisse der entsprechenden kardiovaskulären Endpunktstudie publiziert [11].
Eine additive Therapie mit Bempedoinsäure sollte letztlich insbesondere dann erfolgen, wenn trotz vorbestehender Therapie mit Statin und Ezetimib der individuelle LDL-C-Zielwert überschritten wird oder wenn aufgrund einer Unverträglichkeit die Statin-Therapie nicht oder nur in geringer Dosis durchgeführt werden kann.
PCSK9-adressierende Therapien: Hochpotente LDL-C-Reduktion
Proproteinkonvertase Subtilisin/Kexin Typ 9 (PCSK9) bindet an LDL-Rezeptoren und fördert deren Abbau. Mit vollhumanen, monoklonalen Antikörpern kann zirkulierendes PCSK9 eliminiert werden, was aufgrund der dadurch verstärkten Expression von LDL-C-Rezeptoren in einer LDL-C-Reduktion resultiert. Mit Evolocumab und Alirocumab sind bereits zwei PC-SK9-Antikörper zugelassen. Diese werden per subkutaner Injektion verabreicht, in der Regel alle 14 Tage und durch die Patientinnen und Patienten selbst. PC-SK9-Antikörper senken das LDL-C um ca. 50 Prozent. Positive Endpunktdaten liegen auch für diese Form der cholesterinsenkenden Therapie vor, zudem sind PC-SK9-Antikörper allgemein gut verträglich [12, 13]. Ihr Einsatz wird aktuell insbesondere dann empfohlen, wenn bei Patientinnen und Patienten mit einem sehr hohen kardiovaskulären Risiko trotz vorbestehender Therapie mit Statin, Ezetimib und Bempedoinsäure der LDL-C-Zielwert überschritten wird [7].
Seit 2021 ist mit Inclisiran ein weiterer, PC-SK9-adressierender Cholesterinsenker zugelassen. Inclisiran ist ein Konjugat aus einer synthetischen „small inhibiting“ RNA (siRNA) und einem N-Acetylgalactosamin (GalNAc) und wird ebenfalls subkutan verabreicht. GalNAc sorgt für eine hochspezifische Aufnahme der siRNA in die Leberzellen, diese unterbindet dann die intrazelluläre Synthese von PCSK9. Die LDL-C-reduzierende Wirkung von Inclisiran ist mit der Effektivität der PCSK9-Antikörper vergleichbar. Aufgrund einer lang anhaltenden Wirkdauer muss die initiale Injektion jedoch erst nach drei Monaten und dann jeweils nur halbjährlich wiederholt werden, wobei die Injektionen durch medizinisches Fachpersonal erfolgen. Sicherheit und Wirksamkeit im Hinblick auf eine LDL-C-Reduktion wurden bereits in mehreren Phase-III-Studien nachgewiesen [14]. Die Ergebnisse der kardiovaskulären Endpunktstudie stehen noch aus.
Fazit
Bei der Prävention kardiovaskulärer Ereignisse spielt die Reduktion des LDL-C eine entscheidende Rolle. Statine bleiben das Mittel der ersten Wahl zur kardiovaskulären Risikoreduktion. Mit Ezetimib und Bempedoinsäure stehen weitere orale Medikamente zur Verfügung. Gegen PCSK9 gerichtete Therapien sind hochpotente und sichere LDL-C-Senker; dies gilt sowohl für PCSK9-Antikörper als auch für die PC-SK9-Synthesehemmung mittels siRNA-Therapie (Inclisiran). Der häufigere Einsatz frühzeitiger Kombinationstherapien würde zu einer Optimierung der auch in Deutschland bisher noch unzureichenden LDL-C-Zielwerterreichung führen.