Oktober 2024 – Ausgabe 44

Der Weg zurück zu Bio klappt nicht immer

Tauber

Prof. Dr. med. Mark Tauber
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Martetschläger

Prof. Dr. med. Frank Martetschläger
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Schlüsselwörter: Akromioplastik, Akromionrekonstruktion, „fresh frozen“-Transplantat

In diesem Fallbericht wird ein Rekonstruktionsversuch dargestellt, der nach einem skurrilen, metallischen Akromionaufbau indiziert wurde, nachdem eine einfache subakromiale Dekompression den bis dato anhaltenden Leidensweg der Patientin initiierte.

Eine Patientin stellte sich im Jahr 2013 am Deutschen Schulterzentrum in der ATOS Klinik München mit einem anhaltenden schmerzhaften Funktionsverlust der linken Schulter vor. Vorausgegangen war eine komplikationslos anmutende arthroskopische Operation der linken Schulter drei Jahre zuvor; die Patientin war damals 33 Jahre alt.

Der Eingriff war in den Vereinigten Arabischen Emiraten vorgenommen worden. Im Rahmen der Akromioplastik war dort mehr als die Hälfte des vorderen Akromions, vom AC-Gelenk bis knapp vor den Angulus acromialis reichend, reseziert worden. Bei anhaltenden Beschwerden wurde der Patientin knapp ein Jahr später eine „Custom-made“-Metallprothese als Akromionersatz eingesetzt, welche an der Spina scapulae mit einer Schraube und Drahtcerclagen fixiert worden war (Abb. 1 a-c).

Seit diesem Zeitpunkt klagte die Patientin über stärkste, sowohl bewegungs- als auch belastungsabhängige Schulterschmerzen, teilweile auch in Ruhe. Ihrem Beruf als Erzieherin konnte sie nicht mehr nachgehen. Gemäß schmerztherapeutischem WHO-Stufenschema musste sie täglich Opioide in hoher Dosierung einnehmen, was zwischenzeitlich auch zu einer gewissen Substanzabhängigkeit geführt hatte. Lokale Infiltrationsversuche sowie physikalische Therapiemaßnahmen wie Lasertherapie, Elektrotherapie, Iontophorese und auch manualtherapeutische Anwendungen waren erfolglos geblieben. Auch eine psychiatrische Betreuung aufgrund einer chronischen depressiven Verstimmung mit intermittierenden Suizidgedanken wurde in Anspruch genommen.

Eine Metallunverträglichkeit wurde durch eine Allergietestung auf Nickel, Chrom und Molybdän ausgeschlossen. Zusätzlich erfolgte eine bakteriologische Untersuchung nach subakromialer und intraartikulärer Punktion, welche nach Langzeitbebrütung keinen Keimnachweis liefern konnte.

Therapiefindung – Guter Rat teuer!

Therapeutisch kamen zwei Szenarien infrage:

  1. der reine Ausbau des Implantats, wobei sich die Frage stellte, wie man mit dem Ursprung des Deltamuskels umgehen sollte bzw. dass man hier ein entsprechendes funktionelles Defizit bei der jungen Patientin akzeptieren müsste; oder
  2. einen einzeitigen Rekonstruktionsversuch des Akromions mittels allogenem „fresh frozen“-Transplantat durchzuführen, um die Problematik der Deltamuskelinsertion zu adressieren. Im Hinblick auf ein bestmögliches Ergebnis fiel die Entscheidung für die zweite Behandlungsstrategie, nachdem kernspintomografisch das restliche Schultergelenk strukturell und neurovaskulär intakt war.

Präoperative Planung

Im Rahmen der präoperativen Planung wurde eine Computertomographie der kontralateralen rechten Schulter mit multiplanaren Rekonstruktionen und 3-D-Modell angefertigt. Anhand dessen wurde die exakte Maßgröße des notwendigen akromialen Knochentransplantates bestimmt. Über die Firma Telos GmbH (Marburg) gelang es nach knapp sechs Wochen, ein entsprechendes passendes Spendertransplantat zu erhalten. Unter strikter Einhaltung der hygienischen und transportlogistischen Auflagen wurde das allogene „fresh frozen“-Knochentransplantat angeliefert.

Die Patientin wurde im Vorfeld zweimal ausführlich über die beschränkten Therapiemöglichkeiten aufgeklärt und auch über den Versuchscharakter des allogenen Knochenaufbaus der Skapula. Aufgrund der zunächst aussichtslos erscheinenden Situation mit subjektiv massiv hohem Leidensdruck der Patientin, beim zweiten Mal auch nach Hinzuziehung des behandelnden Psychiaters, wurde die Indikation zu dem geplanten Eingriff gestellt und das schriftliche Einverständnis der Patientin nach Darlegung allfälliger möglicher Risiken und Komplikationen sowie der Erfolgsaussichten eingeholt.

Operative Versorgung

Der Eingriff erfolgte in Kombinationsnarkose mit Intubationsnarkose und interscalenärer Plexusanästhesie in „beach chair“- Lagerung. Nach Verabreichung der intravenösen präoperativen Antibiotikaprophylaxe und sterilem Abwaschen und Abdecken des OP-Gebietes wurde in der alten OP-Narbe die Delta-Ursprungsregion dargestellt. Der Muskel selbst präsentierte sich erfreulicherweise vital. Er war mit mehreren Ethibond-Nähten in eigens dafür vorgesehene Nahtösen an der Akromionprothese fixiert worden. Zudem fiel eine akromioklavikuläre Instabilität auf. Die Muskelnähte wurden aufgetrennt und die Metallprothese von der Spina scapulae abgeschraubt, die Drahtcerclagen wurden entfernt. Es erfolgte ein sparsames, aber akkurates Anfrischen der Spina scapulae zur Aufnahme des „fresh frozen“-Knochentransplantats. Dieses wurde nach Einhalten der entsprechenden Auftauzeit für zehn Minuten in Vancomycin-Lösung eingelegt. Das Transplantat umfasste das gesamte Akromion sowie die Spina scapulae auf einer Länge von etwa sechs Zentimetern.

Nach entsprechender anatomischer Ausrichtung und Anfrischen der Spina scapulae des Transplantats erfolgte die Plattenosteosynthese mittels 6-Loch-Rekonstruktionsplatte (Fa. Synthes). Es konnte eine anatomische und hochstabile Primärsituation erreicht werden. (Abb. 2 a-c). Pars spinalis und acromialis des Deltamuskels wurden mit transössären Nähten refixiert. Am AC-Gelenk erfolgte die Stabilisierung mittels internal bracing unter Verwendung eines doppelt gelegten Fiber Tapes (Fa. Arthrex, Naples, USA), welches in Box- und 8er-Tour-Konfiguration eingezogen wurde. Nach schichtweisem Wundverschluss und intraoperativer Röntgendokumentation erfolgte die Anlage eines Schulterabduktionskissens.

Nachbehandlung

Die Schulter wurde für sechs Wochen im Abduktionskissen immobilisiert, während dieser Zeit erfolgte lediglich eine passive Beübung bis 60° in Flexion und Abduktion bei freier Rotation. Anschließend wurde mit aktiv assistierten Übungen mit schrittweiser Steigerung des Bewegungsumfanges begonnen. Die volle Belastbarkeit wurde mit Beginn des fünften Monats erlaubt.

Postoperativer Verlauf

Der postoperative Verlauf war insgesamt durch eine nur mäßige Compliance mit beschränkter Motivation der Patientin gekennzeichnet. Eine sehr erfreuliche Ausnahme waren der rasche Rücklauf der Schmerzmitteleinnahme und das vollständige Absetzen der Opioid-Analgetika.

Die zunächst durchgeführten radiologischen Verlaufskontrollen zeigten die anatomisch anmutende Stellung des Knochentransplantates mit zunehmender knöcherner Durchbauung.

Ein Jahr später erschien die Patientin neuerlich zur Verlaufskontrolle, nachdem sie wieder etwas vermehrt Probleme verspürte. Zwischenzeitlich kam sie in ihrem Alltag (beruflich nach wie vor nicht integriert) einigermaßen zurecht. Das durchgeführte Röntgenbild ließ eine Teilresorption des Knochentransplantats erkennen, wobei klinisch die Schulterkontur nahezu symmetrisch ausfiel und auch im Tastbefund das Schulterdach vorhanden schien. Auf Wunsch der Patientin erfolgte die Entfernung der Rekonstruktionsplatte von der Spina scapulae, da sie diese als sehr störend empfand.

Ein weiteres Jahr später zeigte sich leider die komplette Resorption des Knochengrafts (Abb. 3).

Fazit

Komplexe Situationen in der orthopädischen Gelenkchirurgie mit großen knöchernen Defektsituationen erfordern unorthodoxe Lösungen, welche nicht immer vom gewünschten Erfolg gekrönt sind. Wichtig dabei ist es, im Vorfeld mit der Patientin oder dem Patienten eindringlich über den Charakter des Eingriffs als „salvage procedure“ zu sprechen und ein reales Bild der Erfolgsaussichten darzulegen. In diesem Fall konnte zwar nicht ein 100%iges Ergebnis, insbesondere nicht radiologisch, erreicht werden, allerdings gelang es in zufriedenstellendem Maße, die subjektive Situation der Patientin erheblich zu verbessern mit einem relevanten Anstieg der Lebensqualität.

Retrospektiv könnte man noch über ein vaskulär gestieltes Knochentransplantat nachdenken, was allerdings den technischen Aufwand erheblich steigern würde.