Oktober 2024 – Ausgabe 44

Erfolgreiche operative Versorgung einer beidseitigen Epiphysenlösung mit begleitender Schenkelhalsfraktur bei einer fünfjährigen Patientin mit Osteopetrose

Hagmann

Prof. Dr. med. Sébastien Hagmann
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Schlüsselwörter: Osteopetrose, Schenkelhalsfraktur beim Kind

Eine deutsche Kinderklinik meldet sich: Sie haben eine fünfjährige Patientin aufgenommen, die wegen Schmerzen beidseits nicht mehr laufen kann. Eine Diagnostik zeigt äußerst auffällige Röntgenbilder, die auf eine seltene Erkrankung hinweisen: eine Osteopetrose. Doch stimmt das, und was kann man tun? Der vorliegende Artikel soll zeigen, wie die Entscheidungsfindung zur Therapie funktioniert, wenn es zu einer Verletzung bei einer Erkrankung kaum Evidenz gibt.

Der Fall

Als erfahrener Kinderorthopäde wurde ich von einer Kinderklinik kontaktiert, die einen Rat für einen besonderen Fall brauchte. Ein fünfjähriges Mädchen hatte seit Wochen Schmerzen in den Knien („Schmerzen im Knie, vergiss die Hüfte nie“). Wegen des zunehmenden Humpelns und der sich steigernden Schmerzen, die schließlich in einen Verlust der Gehfähigkeit mündeten, wurde eine Röntgendiagnostik durchgeführt, die sehr auffällige Veränderungen der Knochen zeigte. Die Radiologen und Kinderärzte brachten daraufhin eine äußerst seltene Erkrankung ins Spiel: eine Osteopetrose (siehe Kasten nachfolgende Seite). Nach Kontaktaufnahme mit der ortsansässigen Abteilung für Orthopädie und Unfallchirurgie wurde eine Anfrage bei mir empfohlen.

Die Bildgebung sprach in der Tat für eine Osteopetrose. Eine genetische Analyse wurde in die Wege geleitet, aber deren Ergebnis hätte noch einige Wochen gedauert. Währenddessen konnte das kleine Mädchen nur noch im Rollstuhl sitzen, obwohl es vorher normal gehfähig gewesen war. Aufgrund dieser Symptome organisierten wir eine Verlegung in unser Haus.

Klinisch bestanden zum Zeitpunkt der Aufnahme keine Gehfähigkeit und starke Beschwerden, die ins Knie projiziert, aber von den Hüften hervorgerufen wurden. Zunächst einmal war zu klären, um welche Art von Verletzung es sich handelte. Zum einen hatte die Verletzung sowohl im Röntgen als auch im dann durchgeführten MRT den Aspekt einer Schenkelhalsfraktur, aber ungewöhnlicherweise in Kombination mit einem Abrutschen des Kopfes in der Wachstumsfuge (Epiphysenlösung, Epiphysiolysis capitis femoris, Abb. 1). Aufgrund der Immobilität und da beide Seiten betroffen waren, wurden die Eltern ausführlich über die Möglichkeiten einer konservativen und operativen Behandlung aufgeklärt, wobei aufgrund der Epiphysenlösung mit dem entsprechenden Risiko einer Hüftkopfnekrose und der schweren Symptomatik die Operation empfohlen wurde.

Ein MRT der Hüften beidseits bestätigte, dass die Durchblutung der Hüftköpfe regelrecht war, sodass eine geschlossene Reposition und Verschraubung favorisiert wurde. Die Schwierigkeit bei der Osteopetrose liegt in der marmorartigen Konsistenz des Knochens, sodass dieser splittern kann, und dass andererseits Instrumente, die für gesunde Knochen gemacht sind, zerstört werden können. In der Literatur wird daher auch bei Frakturen in der Regel von einer Operation abgeraten, wenn dies angezeigt ist.

Operative Versorgung

Aufgrund der ernstzunehmenden Verletzung mit potenziell verheerenden Folgen für das Mädchen wurde die Operation dann nach intensiver Beratung mit den Eltern schließlich durchgeführt. Beide Seiten wurden nacheinander in einer Sitzung vom Autor mit einer gewindegekürzten kanülierten Lochschraube der Dicke 5,8 mm stabilisiert (Abb. 2).

Als Besonderheit wurde das Vorbohren für die Schraube mit äußerster Vorsicht durchgeführt, mit Pausen und zwischenzeitlich immer wieder mit Kühlen des Bohrers, um eine Knochennekrose durch Erhitzung aufgrund der Knochenfestigkeit ebenso zu verhindern wie ein Splittern des Knochens oder des Bohrers. Der Eingriff verlief komplikationslos.

Eine fünfwöchige Phase der Entlastung schloss sich an, anschließend wurde das Mädchen mit Krücken wieder mobilisiert.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sie keinerlei Beschwerden mehr und konnte ohne Schmerzen laufen. In den nächsten sieben Monaten konnte das Mädchen den Kindergarten besuchen und spielte frei. Auf der linken Seite gab sie gelegentlich Beschwerden an, jedoch selten. Bei einer Röntgenkontrolle sieben Monate nach der OP fiel auf der linken Seite ein weiteres Abrutschen des Femurkopfes auf (Abb. 3). Rechts hingegen hatte sich die Situation vollständig stabilisiert, auch Zeichen einer Instabilität waren nicht mehr zu sehen. Aufgrund der biomechanisch schlechten Ausgangslage auf der linken Seite wurde die Indikation zu einer Revision gestellt. Eine extraartikuläre subtrochantäre Valgusosteotomie um 25 Grad wurde durchgeführt, mit einer Winkelplattenosteosynthese, um die Belastungsverhältnisse des Schenkelhalses zu normalisieren. Zur Sicherung des Kopfes gegen Gleiten wurde wiederum eine gewindegekürzte 5,8 mm Lochschraube verwendet (Abb. 4).

Im Anschluss an eine vierwöchige Entlastungsphase wurde die Aufbelastung durchgeführt, das Kind hatte zu diesem Zeitpunkt und hat seither keinerlei Beschwerden mehr. Die Röntgenkontrollen zeigten eine vollständige Konsolidierung der Osteotomie, aber auch der Instabilitätszeichen des Schenkelhalses (Abb. 5).

Ein Jahr nach der Operation konnte die Winkelplatte entfernt werden, die Wachstumsfugen bleiben zum Verhindern einer erneuten Epipyhsenlösung durch eine „mitwachsende“ überlange Schraube stabilisiert (Abb. 6). Hüftbeschwerden hat das Mädchen keine mehr und kann sich wieder kindgemäß bewegen. Aufgrund von weiteren Symptomen der Erkrankung (zum Beispiel einer Sehstörung durch eine knochenbedingte Nervenschädigung im Augenkanal) wurde eine Stammzelltransplantation geplant. Das Mädchen befindet sich in regelmäßiger kinderorthopädischer Überwachung.

Fazit für die Praxis

So sehr Standards in der Medizin zu einer Verbesserung der Behandlungsqualität führen können, wird es immer auch ein Teil der ärztlichen Kunst sein, individuelle Lösungen für Fälle zu finden, die in keine Schublade passen. Im vorhandenen Fall lagen für diese exakte Situation keine genau passenden Fallbeschreibungen vor, da es sich um eine MR-tomographisch und röntgenologisch seltene Mischung aus Epiphysenlösung und Insuffizienzfraktur des Schenkelhalses handelte. Die generelle Meinung ist, bei der Osteopetrose Operationen wegen des intraoperativen Komplikationsrisikos durch den harten Knochen möglichst zu vermeiden.

Die Sorge vor einem weiteren Abrutschen des Hüftkopfes und die Tatsache, dass das Kind auch nach einer Zeit im Rollstuhl keine Verbesserung der Beschwerden erfahren hatte, ließ eine Operation jedoch unumgänglich erscheinen. Der klinische Erfolg mit sofortiger Besserung der Beschwerden gab dem auch Recht. Auch ex post würde ich diesen Weg wieder wählen, auch wenn die linke Seite einer Revision bedurfte. Die gleichzeitige Umstellungsosteotomie auf beiden Seiten hätte deutlich mehr Risiken gehabt, und war letztlich auch nur auf einer Seite notwendig.

Beim zweiten Eingriff konsequenterweise die Belastungsverhältnisse durch eine extraartikuläre Umstellung zu verändern und die Lasteinleitung über die Fuge so zu normalisieren, hat zu einer Ausheilung geführt. Auch wenn das Risiko eines solchen Eingriffs bei einer Osteopetrose sicherlich deutlich erhöht ist, war spätestens beim Versagen der reinen Stabilisierung dieser Schritt nur konsequent.

Wichtig in diesen Fällen ist es, die Eltern frühzeitig in die Entscheidungsfindung einzubinden und ihnen die wenigen Informationen, die zu dieser seltenen Fallkonstellation hilfreich sind, zur Verfügung zu stellen. Dieser Fall offenbart auch, dass jede medizinische Behandlung eine Einzelfallentscheidung ist, bei der der Arzt auch Aspekte wie Immobilität, Schmerzen und individuelles Risiko berücksichtigen muss. Zu guter Letzt ist es in diesen Situationen ebenfalls wesentlich, seine Erfahrungen mit anderen Kolleginnen und Kollegen zu teilen, weshalb dieser Fall auch international in einem englischsprachigen Journal veröffentlicht und diskutiert wurde.

Hintergrund: Osteopetrose

Der Begriff Osteopetrose setzt sich aus den griechischen Wörtern osteo (Knochen) und petros (Stein) zusammen, und wird auch als Marmorknochenkrankheit bezeichnet. Die Erkrankung wurde erstmals im Jahr 1904 beschrieben. Der älteste berichtete Fall einer Osteopetrose in einem menschlichen Skelett stammt von ungefähr 4600 vor Christus. Die Osteopetrose zeichnet sich durch Veränderungen im Knochenabbau aus, was zu einer erhöhten Knochenmasse und einer generalisierten Osteosklerose führt. Man unterscheidet verschiedene Formen der Osteopetrose, die von Patienten ohne Beschwerden bis zu einem frühen Versterben in der Kindheit reichen können. Die hier vorliegende autosomal-rezessive Form hat ein Vorkommen von 1 auf 250.000 Lebendgeburten. Aufgrund der Seltenheit der Erkrankung liegen zu operativen Versorgungen auf orthopädischem Fachgebiet nur wenige Einzelfallbeschreibungen vor, und keinerlei größere Studien.