Mai 2024 – Ausgabe 43
Angeborene Fehlstellungen am Vorfuß
Prof. Dr. med. Sébastien Hagmann
Schlüsselwörter: Vorfußfehlstellungen, Sichelfuß, Lockenzehen
Mit Ausnahme des Sichelfußes und der Lockenzehen sind angeborene Vorfußfehlstellungen selten. Dieser Artikel soll einen Überblick über die wichtigsten Fehlstellungen am Vorfuß und deren Therapie geben.
Sichelfuß
Der Sichelfuß ist eine der häufigsten angeborenen Fehlstellungen am Vorfuß und wird in der Regel sehr kurz nach der Geburt bemerkt. Die Häufigkeit kann aufgrund der Studienlage nur in etwa auf 1 / 1000 – 1 / 100 der Geburten geschätzt werden. Bei Frühgeborenen wird der Sichelfuß insgesamt häufiger beobachtet.
Klinisch zeigt sich eine Adduktion (Anspreizung) des Vorfußes gegenüber dem Rückfuß, weshalb der Sichelfuß auch als Metatarsus adductus bezeichnet wird. Die Fußsohle sieht dadurch häufig „bohnenförmig“ aus (Abb. 1). Als ursächlich wird eine lagebedingte Veränderung des Os cuneiforme mediale und der Mittelfußknochen durch die im Mutterleib in Richtung Schienbein gestreckten Füße diskutiert.
Die Diagnose eines Sichelfußes wird in der Regel klinisch gestellt. Wichtige Punkte bei der Untersuchung sind zum einen, ob sich die Fehlstellung durch eine Stimulation der außenseitigen Fußsohle von selbst korrigiert. Diese Fehlstellung wird dann leichter Sichelfuß genannt. Korrigiert sich durch dieses Manöver der Fuß nicht spontan, aber lässt sich durch den Fingerdruck des Untersuchenden korrigieren, nennt man die Fehlstellung mittelgradig. Bei einer rigiden (oder schweren) Fehlstellung lässt sich durch Druck auf den Vorfuß von innen nach außen unter fixiertem Rückfuß die Fehlstellung nicht beheben. In diesem Fall sind unter Umständen auch Röntgenbilder angezeigt, um die Fehlstellung näher einzuschätzen. Weitere Punkte, die bei der Untersuchung festzuhalten sind, sind die Stellung des Fersenbeins sowie die Drehung der Sprunggelenkgabel im Verhältnis zum Knie. Zu guter Letzt sollte auf eine Verkürzung des Musculus abductor hallucis (Anspreizer der Großzehe) bzw. dessen Sehne geachtet werden.
Die Therapie richtet sich nach dem festgestellten Schweregrad. Bei einem leichten Sichelfuß ist keine weitere Therapie notwendig. Die Eltern sollten aufgeklärt werden, dass sich die Fehlstellung in fast allen Fällen von selbst „verwachsen“ wird, und in Techniken zur Dehnung des inneren Fußrandes eingeführt werden. Bei mittelgradigen Fehlstellungen (s. o.) herrscht keine einheitliche Meinung zur Behandlung. Während in Deutschland traditionell auch bei diesen Fehlstellungen eher Zurückhaltung bei der Behandlung geübt wird, plädieren einige, vor allem amerikanische Autoren, für eine kurzzeitige Gipstherapie, mit dem Ziel, die Fehlstellung hierdurch zu korrigieren. Rigide, schwere Fehlstellungen sind eher selten, und in der Regel durch eine Gipstherapie gut behandelbar. Lediglich bei Versagen der Gipstherapie oder bei älteren Kindern mit Beschwerden oder Problemen bei der Schuhversorgung kann eine operative Therapie notwendig werden. Diese richtet sich nach der Schwere der Fehlstellung und begleitenden Faktoren, wie z. B. einer vermehrten Innendrehung der Sprunggelenkgabel.
Spaltfuß
Der Spaltfuß ist eine komplexe angeborene Fehlstellung, die hauptsächlich den Vorfuß betrifft, sich aber auch auf den Mittelfuß erstrecken kann. Diese sehr seltene (etwa eine auf 90.000 Geburten) Fehlstellung ist gekennzeichnet durch ein Fehlen der zentralen Strahlen des Fußes, sodass der Fuß „gespalten“ aussieht. Meist sind beide Füße betroffen, häufig auch die Hände (Spalthand). Man unterscheidet verschiedene Schweregrade, wobei bei den milden Formen die Mittelfußknochen normal angelegt sind, und nur Defekte der Zehen bestehen, wohingegen bei schweren Formen nur die große und die kleine Zehe zu sehen sind und nur ein oder zwei Mittelfußknochen vorhanden sind.
Üblicherweise kommen die Patientinnen und Patienten trotz des auffälligen Befundes funktionell mit Spaltfüßen oft erstaunlich gut zurecht. Die Therapie des Spaltfußes ist daher auch umstritten und muss vom Schweregrad sowie von der Funktion abhängig gemacht werden. Wenn eine Schuhversorgung problemlos möglich ist und der Fuß insgesamt eine gute Funktion aufweist, sollte von einer Operation eher Abstand genommen werden. Sollte auf der anderen Seite bereits im ersten Lebensjahr klar sein, dass eine Schuhversorgung aufgrund der Form nicht möglich wird, oder die Funktion gefährdet sein, empfiehlt man in aller Regel eine Operation ab dem Alter von sechs Monaten, aber vor dem ersten Geburtstag. Das Ziel eines solchen Eingriffs ist in der Regel die Verschlankung und Stabilisierung des Fußes.
Polydaktylie
Eine Polydaktylie bezeichnet eine überzählige Anlage von Zehenstrahlen am Fuß (oder von Fingern an der Hand, Abb. 2 und 3). Die Fehlstellung ist häufiger als vermutet und tritt in ca. 1,7 Fällen auf 1000 Lebendgeburten auf. In 30 Prozent der Fälle besteht eine positive Familienanamnese. Am häufigsten (80 Prozent der Polydaktylien am Fuß) ist die fünfte Zehe von einer Dopplung betroffen, in diesem Fall spricht man von einer postaxialen (seitlich der Großzehe gelegenen) Hexadaktylie. Seltener sind präaxiale Polydaktylien, also Dopplungen der Großzehe. Die Zehen 2 bis 4 sind noch seltener betroffen.
Polydaktylien fallen in aller Regel direkt nach der Geburt auf. Da sie häufig Probleme mit der Schuhversorgung machen, wird eine operative Entfernung der gedoppelten Anteile vor dem ersten Geburtstag empfohlen, sofern die Fehlstellung nicht nur kosmetisch ist. Eine einheitliche Operationsform existiert nicht, da von nur unvollständig angelegten doppelten Zehen mit geteiltem Nagel über Y-förmige Anlagen mit doppelten Gelenken bis zum vollständig angelegten zusätzlichen Strahl mit Mittelfußknochen und eigener Zehe alle Varianten vorkommen können, sodass eine individuelle operative Behandlung notwendig wird (Abb. 4 und 5).
Syndaktylie
Die Syndaktylie bezeichnet das teilweise oder vollständige Zusammenwachsen von Zehen (oder Fingern, siehe auch Abb. 2). Anders als an der Hand hat eine Syndaktylie am Fuß in nahezu allen Fällen keine funktionellen Auswirkungen. Es handelt sich also fast immer lediglich um ein kosmetisches Problem. Anders ist es bei einem gleichzeitigen Vorliegen von Poly- und Syndaktylien; in diesen Fällen kann mitunter eine Trennung der Zehen notwendig sein. In Fällen reiner Syndaktylien wird angesichts der oft starken Narbenbildung bei einer Trennung und der Notwendigkeit einer Hautverpflanzung wegen des Fehlens von Haut von einer Operation abgeraten. Sollten funktionelle Aspekte zu berücksichtigen sein, kann von der generellen Empfehlung gegen die Operation in Ausnahmefällen abgerückt werden.
Makrodaktylie
Makrodaktylie bezeichnet eine Vergrößerung einer oder mehrerer Zehen aufgrund einer Hyperplasie (Abb. 6). Die angeborene Störung kann ohne begleitende Erkrankungen auftreten und auch gleichzeitig an den Händen vorkommen. Meist ist sie jedoch mit einem Syndrom vergesellschaftet (z. B. Proteus-Syndrom, Neurofibromatose etc.). Auch die Art des vergrößerten Gewebes (Fett, Bindegewebe, Gefäße etc.) kann demnach variieren.
Die Behandlung richtet sich nach vorhandenen Beschwerden und begleitenden Fehlstellungen. Um eine Schuhversorgung zu ermöglichen, sind mitunter operative Eingriffe notwendig. Bei knöchernem Überwuchs kann ggf. eine Verödung der Wachstumsfugen an den betroffenen Zehen die Ausbildung eines noch stärkeren Größenunterschiedes verhindern.
Brachymetatarsie
Bei der Brachymetatarsie handelt es sich um eine rückverlagerte Zehe (in Richtung Schienbein und Fußrücken) durch einen verkürzten Mittelfußknochen. Die Fehlstellung ist angeboren, fällt aber meist mit zunehmendem Wachstum deutlicher auf. Manchmal ist auch mehr als ein Mittelfußknochen betroffen und häufig zeigt sich die Fehlstellung beidseits. Durch den rückverlagerten Zeh kann es zu Veränderungen in der Position der anderen Zehen kommen, die in Richtung der nicht in der Reihe stehende Zehe abweichen können.
In aller Regel bestehen keine funktionellen Probleme. Gelegentlich kann die relativ zu den anderen Zehen zu weit oben am Fußrücken positionierte Zehe im Schuh stören, oder es können sich Probleme durch die „normal stehenden“ Zehen ergeben. Am häufigsten aber macht die äußerlich gut sichtbare Fehlstellung der Zehe(n) ein kosmetisches Problem. Da hierdurch mitunter erhebliche psychische Schwierigkeiten entstehen können, ist eine Korrektur meist mehr als ein kosmetischer Eingriff. Zur Verfügung stehen bei gering ausgeprägten Befunden die „Sofortkorrektur“ mit einer Verlängerung und das Einsetzen eines Knochenblockes. Bei stärkeren Verkürzungen ist meist eine schrittweise Verlängerung über einen Mini-Fixateur (Abb. 7) oder ein verlängerbares Plattensystem notwendig. Das kosmetische Ergebnis ist meist ansprechend, auf die Risiken einer Fehlstellung während des Verlängerns, einer ausbleibenden Knochenheilung und der Narbenbildung sollte jedoch hingewiesen werden.
Reitender 5. Zeh (Digitus minimus varus congenitus)
Bei dieser Fehlstellung fällt eine Anspreizung und Streckung der Kleinzehe auf, die dazu führt, dass die fünfte Zehe sich auf die vierte legt. In aller Regel ist die Fehlstellung direkt nach der Geburt zu beobachten, eine genetische Komponente wird diskutiert.
Die Fehlstellung kann Probleme mit der Schuhversorgung machen, da es zu Druckstellen kommen kann bzw. zu Beschwerden durch die Reibung der Zehen aneinander. Liegen keine Beschwerden vor, ist keine Therapie notwendig. Der Versuch, mit Tapes die Fehlstellung zu korrigieren, kann erfolgreich sein. Bei Versagen dieser Therapie und Beschwerden kommen operative Verfahren infrage.
Lockensehe (Curly toe)
Lockenzehen kommen in der kinderorthopädischen Praxis sehr häufig vor. Sie sind charakterisiert durch eine Beugung und Verwringung der Zehe nach innenseitig, sodass die Zehe wie eine Locke aussieht. Als Ursache wird eine Verkürzung der langen und oder kurzen Beugesehnen der betroffenen Zehen angenommen. Meist liegen die Lockenzehen beidseits symmetrisch vor und betreffen die dritte oder vierte Zehe. Häufig besteht eine positive Familienanamnese.
Meist lösen die Lockenzehen keine Beschwerden aus. Laut Literatur bilden sich Lockenzehen in etwa einem Viertel der Fälle spontan zurück. Durch Verlagerung der anderen Zehen und Druck im Schuh können aber Beschwerden entstehen. In diesen Fällen kann eine Tape-Therapie hilfreich sein. Wenn Beschwerden bestehen und sich die Lockenzehen bis zum Alter von sechs Jahren nicht zurückgebildet haben, kann in seltenen Fällen eine operative Korrektur vorgenommen werden, wobei eine Durchtrennung der verkürzten Beugesehne den kleinsten Eingriff darstellt.
Epiphyseal bracket
Diese seltene Fehlstellung, die man aus dem Englischen ins Deutsche mit „Epiphysenklammer“ übersetzen könnte, kann die Zehenglieder, aber auch die Mittelfußknochen betreffen. Am häufigsten wird diese Fehlstellung an der Großzehe angetroffen. Die normalerweise quer zur Knochenlängsrichtung ausgerichteten Wachstumsfugen sind durch eine Brücke verbunden, was dazu führt, dass das Wachstum der Zehenglieder auf der der abnormen Wachstumsfuge abgeneigten Seite schneller abläuft als auf der betroffenen Zehenseite.
Klinisch zeigt sich eine Abweichung der Zehe in die Richtung der veränderten Wachstumsfuge. An der Großzehe zeigt sich z. B. bei Vorliegen der Veränderung am Grundglied innenseitig ein Wachstum der Großzehe nach innen. Diese entfernt sich also von der zweiten Zehe, sodass eine Lücke zwischen erster und zweiter Zehe entsteht.
Die Therapie ist operativ und besteht in einer Entfernung der „Klammer“, einer Befreiung der quer ausgerichteten Wachstumsfugen sowie ggf. einer Korrektur durch Osteotomie, wenn die Fehlstellung schon zu stark ist. Empfohlen wird ein solches Vorgehen ab einem Alter von sechs Monaten, allerdings ist die Veränderung in diesem Alter im Röntgenbild nicht zu erkennen. Ultraschall und MRT können für die Planung des Eingriffs hilfreich sein.
Fazit
Angeborene Fehlstellungen am Vorfuß können direkt nach der Geburt, aber auch erst verzögert auffallen. Je ausgeprägter die Fehlstellung ist, desto früher wird sie in der Regel festgestellt. Von wesentlicher Bedeutung sind mögliche Einschränkungen der Funktion und der Schuhversorgung, die die weitere Therapie bestimmen. Die Vorstellung bei einer Spezialistin oder einem Spezialisten für Kinderorthopädie ist in jedem Fall zu empfehlen.