Oktober 2023 – Ausgabe 42

Die Early-Onset-Arthrose der Schulter bei Kraftsportlerinnen und -sportlern: Diagnostik und Therapiekonzepte

Hudeck

PD Dr. med. Robert Hudek
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Schlüsselwörter: Early-Onset-Arthrose, Schulterprothese, 3-D-Planung

Die sogenannte Früharthrose oder auch „Early-Onset-Arthrose“ (EOA) des Schultergelenks ist eine Sonderform der Omarthrose, die sich durch ihr ungewöhnlich frühes Auftreten auszeichnet [1,2]. Als ein möglicher Risikofaktor für die EOA gilt körperliche Aktivität, die mit hoher exzentrischer Belastung einhergeht, wie es z. B. beim Kraftsport und beim Bankdrücken der Fall ist.

Während die klassische, primäre Omathrose ihren Häufigkeitsgipfel typischerweise rund um das 70. Lebensjahr hat [3-5], erkranken Patientinnen und Patienten mit EOA schon etwa ab dem 40. Lebensjahr [1]. Eine einheitliche Altersdefinition fehlt allerdings: „Jünger“ heißt in diesem Fall in etwa ab einem Alter von 50 bzw. <60 Jahren [1,6,7]. Auch wenn die Entstehung der Omarthrose als multifaktoriell anzusehen ist, gilt das Lebensalter als ganz wesentlicher Risikofaktor [8]. Daneben werden prädisponierende, exogene Faktoren wie Entzündungen oder Traumata für den Abbau und Verlust von Gelenkknorpel verantwortlich gemacht [9]. Die Omarthrose wird also in primäre (unspezifische) und sekundäre (spezifische) Formen unterteilt, je nachdem, ob es eine erkennbare Ursache gibt oder nicht. Während Letzteres bei jüngeren Patientinnen und Patienten weitaus häufiger vorkommt, liegt die Prävalenz der primären Omarthrose in der Altersgruppe der 40- bis 55-Jährigen zwischen 2 und 10 Prozent [1,10] bei allerdings steigender Tendenz [11]. Die EOA geht in der Regel mit einer statischen, posterioren Dezentrierung des Humeruskopfes einher (Abb. 1–4) [1,12,13]. Obwohl einige Risikofaktoren in Zusammenhang mit der EOA gebracht wurden (u. a. hoher BMI, inhalatives Rauchen, Bluthochdruck, Polyarthritis) [1], konnte bisher keine eindeutige Ursache für die EOA hinreichend ermittelt werden. Neben den o. g. Risikofaktoren scheint vor allem das Aktivitätslevel mit exzentri- scher Schulterbelastung die Entwicklung einer EOA erheblich zu begünstigen [1]. Diese hohen, exzentrischen Belastungen kommen vor allem beim Kraftsport und beim Bankdrücken vor. Walch et al. beschrieben die statische Dezentrierung bei jungen Patientinnen und Patienten als eine prä-arthrotische Deformität mit Subluxation des Humeruskopfes, der eine posteriore Glenoid-Erosion vorausgeht [2]. Diese früheste Form der osteoarthritischen Entwicklung wurde als sog. „B0“-Glenoid bezeichnet [12]. Es ist jedoch immer noch unklar, ob diese Dezentrierung eine Glenoid-Retroversion aufgrund der exzentrischen Gelenkmechanik bedingt oder umgekehrt – ein klassisches „Henne-Ei“-Problem. Neben den o. g. Risikofaktoren scheint auch der Umfang und der antero-posteriore (AP) Durchmesser des Thorax einen Einfluss auf die Entwicklung der EOA zu haben: je größer Umfang und der AP-Durchmesser des Thorax, desto häufiger wurde in einer kürzlich vorgestellten Studie eine EOA-Arthrose beobachtet [14]. Vermutet werden auch dynamische Faktoren, im Besonderen eine unausgeglichene Muskelbalance der Rotatorenmanschette. Dies konnte allerdings in Untersuchungen mit Volumenbestimmung der Muskulatur der Rotatorenmanschette nicht bestätigt werden [14].

Diagnostik

Neben der klinischen Untersuchung, bei der klassischerweise ein sekundäre Schultersteife auffällt, erfassen Röntgenaufnahmen in drei Projektionen (True-AP, Outlet, Axial) relativ rasch die Omarthrose. Typischerweise sind kräftige Männer betroffen, ein großer Thoraxumfang und bullig wirkende Oberkörper werden bei der betroffenen Patientengruppe sehr häufig beobachtet [14]. In einem frühen Krankheitsstadium können bereits geringe knöcherne Veränderungen am Übergang der Kalotte zur kaudalen Humerus-Metaphyse als erste radiologische Hinweise für die Entwicklung der Omarthrose gewertet werden. (Abb. 1)

Bei Verdacht auf eine EOA sollte sich auf jeden Fall eine Schnittbildgebung anschließen. Dabei gibt die MRT einerseits Hinweise für die Retroversion der Pfanne und die relative Position des Humerus zum Glenoid. Andererseits liefert sie wertvolle Hinweise für die Integrität und eine mögliche Muskelatrophie der Rotatorenmanschette. Diese Merkmale sind vor allem für eine spätere Implantatwahl wichtig, denn bei insuffizienter Rotatorenmanschette kommt eine anatomische Prothese nicht mehr infrage, was aber bei der EOA selten der Fall ist.

Bei fortgeschrittenem Befund und hohem Leidensdruck muss eine endoprothetische Versorgung mit dem Patienten bzw. der Patientin diskutiert werden. Zur Prothesenplanung empfiehlt sich eine Computertomographie (CT), um die knöcherne Anatomie im Rahmen einer 3-D-Planung zu erfassen (Abb. 3). Eine moderne Planungssoftware wird nahezu von allen Prothesenherstellern angeboten und stellt heute bereits den Standard in der endoprothetischen Versorgung dar. Bei der Planung geht es vor allem um die Morphologie des Glenoides und die Dezentrierung des Humerus nach posterior. Die 3-D-Planung hilft dabei, knöcherne Defekte der Pfanne zu erkennen, damit schon vor der OP eine geeignete Planung erfolgen kann, um diese Defekte passgenau zu adressieren (Abb. 4–8).

Therapie

Frühe Formen der EOA sind konservativ zu behandeln, dies wird oft ohnehin durch das jüngere Alter der Patientinnen und Patienten bedingt. Dabei wird allem voran eine strikte Belastungsreduktion empfohlen. Kraftsport und Bankdrücken sollten unbedingt vermieden werden. Die regelmäßige Dehnung und Lockerung verkürzter Muskeln (vor allem der Pektoralisgruppe) wird als sinnvoll erachtet, um das Drehzentrum des Humerus günstig zu beeinflussen.

Bei einem oft verengten Rotatorenintervall können arthroskopische Maßnahmen mit Lösung und Erweiterung des Intervalls helfen, die posteriore Subluxation des Humerus zu reduzieren. Für diese Methode gibt es zwar überzeugende Ergebnisse aus einer eigenen Patientenserie, aber wenig belastbare Studienergebnisse aus größeren Untersuchungen. Der Maßnahme liegt vielmehr die Annahme zugrunde, dass durch die Erweiterung im vorderen Intervallbereich der Humeruskopf leichter nach ventral gleiten kann und so aus der posterioren Subluxationsstellung in eine vermehrt konzentrische Lage kommt. Daneben können eine Tenotomie der langen Bizepssehne und eine periartikuläre Synovektomie und die Entfernung entzündlicher perikapsulärer Gelenkanteile eine zumindest vorübergehende Verbesserung erzielen. Konservative Alternativen sind intraartikuläre Steroid- und Hyaluronsäure- oder auch Platelet-Rich-Plasma (PRP) Infiltrationen. Dabei kann eine einzelne Injektion die Beschwerden für bis zu vier Monate deutlich verbessern [15]. Mehr als vier Injektionen pro Jahr sollten aber nicht erfolgen [16]. Wenn eine Steroid-Injektion erfolgt ist, sollte für die folgenden drei Monate keine Endoprothesen-Operation erfolgen, da ansonsten die Revisionsgefahr (Infekte!) massiv steigt [17]. Der Einsatz von Hyaluronsäure liefert vergleichbare Resultate wie der von Steroiden [18].

Bei fortgeschrittenem Befund und hohem Leidensdruck wird dann doch die Implantation einer Endoprothese diskutiert werden müssen. Vor allem das relativ junge Patientenalter steht jedoch im strengen Widerspruch zu einer Prothesenimplantation. Wenn eine endoprothetische Versorgung geplant wird, sollten möglichst knochensparende Implantate verwendet werden, da mit Revisionsoperationen in der Zukunft zu rechnen sein wird. Die Industrie liefert auch konvertierbare Systeme, die eine anatomische in eine inverse Prothese wechseln lassen, ohne dabei den eingewachsenen Schaft bzw. die Basisplatte austauschen zu müssen. In der Regel ist bei der EOA die Rotatorenmanschette erhalten, somit ist eine anatomische Prothese meist das Mittel der Wahl. Bei Defekten an der Rotatorenmanschette mit fettiger Atrophie der Muskulatur wird eine inverse Prothese in die Auswahl kommen.

Moderne Implantate sind humeralseitig in der Regel als Kurzschaft oder auch als schaftlose Versionen zu erhalten, die Ergebnisse dieser kurzen Versionen sind im mittleren Follow-up sehr gut und mit den Ergebnissen älterer Schaftimplantate zu vergleichen [19]. Das schwächste Glied hinsichtlich der Standzeiten anatomischer Prothesen ist aber die Pfannenkomponente. Die symptomatische Lockerungsrate liegt hier bei 1,2 Prozent pro Jahr [20]. „Metal-backed“-Glenoide (eine Kombination aus Metall und Polyethylen, PE) schneiden dabei deutlich schlechter ab als reine PE-Glenoide [21].

Eine denkbare Alternative wären Hemiprothesen, denn das Problem der Glenoidlockerung wird dadurch umgangen. Allerdings stellt sich bei Hemiprothesen bereits nach fünf Jahren regelhaft eine schmerzhafte Glenoiderosion ein, die schließlich in Wechseloperationen mündet [22]. Neuartige Oberflächen wie Pyrocarbon stellen bei Hemiprothesen allerdings eine moderne Möglichkeit dar, um Erosionen zu verringern [23]. Um das Problem der Glenoidlockerung zu adressieren, werden verschiedene Verankerungskonzepte diskutiert.

Das zementierte PE stellt derzeit den Versorgungsstandard dar. Hierbei findet aber bereits nach wenigen Jahren eine regel- hafte Lockerung zwischen Zementköcher und PE statt [24]. Die sog. „Full-metal“- Glenoide stellen eine neuartige Lösung dar, die konzeptionell eine höhere Haltbarkeit verspricht, die sich aber zunächst im längeren Verlauf bewähren muss. Dabei besteht die Glenoidkomponente vollständig aus Metall und die Kalotte der Humeruskomponente aus PE. Diese Umkehr der Gleitpaarung soll die Glenoid-Lockerungsraten senken, da beim Full-metal-Glenoid die Schwachstelle der Verbindung zwischen Zementköcher und PE durch eine impaktierte und verschraubte metallische Basisplatte ersetzt wird.

Ein weiterer Vorteil der Full-metal-Glenoide liegt darin, dass knöcherne Defekte am Glenoid durch die Verwendung von spongiösen Autografts oder metallischer Augmentation zuverlässig ausgeglichen werden können (Abb. 4–9). Diese Defektfüllung wäre bei zementierten PE nur schwer umsetzbar. Die Retroversion der Pfanne und deren Morphologie lässt sich in der präoperativen 3-D-Planung gut erkennen und bereits virtuell durch eine geeignete Implantatwahl adressieren. Um während der Operation die präoperative Planung umzusetzen, kann auf verschiedene Hilfsmittel zugegriffen werden: Zum Beispiel können Implantationshilfen aus dem 3-D-Druck steril und fallbezogen geliefert werden, um während der Operation vorher festgelegte Zielpunkte besser zu treffen. So gibt es auch 3-D-Brillen, die die OP-Planung während der Operation vor das Auge des Chirurgen projizieren und helfen sollen, die knöcherne Anatomie besser zu erkennen. Ob diese Hilfsmittel aber tatsächlich die Implantationspräzision erhöhen oder ob es sich hier nur um technische Spielereien handelt, ist Gegenstand aktueller Debatten. Schließlich muss sich eine höhere intraoperative Präzision auch langfristig in bessere klinische Resultate und höhere Standzeiten übersetzen lassen. Dies wird sich im Langzeitverlauf noch beweisen müssen.

Zusammenfassung

Die Entwicklung einer Early-Onset-Arthrose der Schulter ist mit einer hohen exzentrischen Schulterbelastung assoziiert, eine Beobachtung die sehr häufig bei Kraftsportlerinnen und -sportlern, vor allem bei intensivem Bankdrücken, auftritt. Hohe Belastungsamplituden scheinen dabei eine statische, posteriore Dezentrierung des Humerus gegenüber dem Glenoid zu begünstigen, die schließlich den hinteren Glenoidanteil erodiert. Konstitutionelle Faktoren, wie z. B. ein hoher BMI, Rauchen oder ein großer Thoraxumfang, können das Krankheitsbild ungünstig beeinflussen.

In der Behandlung sollte zunächst die nach dorsal gerichtete Schulterbelastung gestoppt werden. Die konsequente Dehnung und Lockerungen der Muskulatur leiten die Behandlung ein und können in Frühstadien die Schadensentwicklung hinauszögern. Arthroskopische Maßnahmen können in einem weiteren Schritt helfen, das Drehzentrum des Humerus leicht nach ventral zu verlagern und andere Schmerzquellen, wie die lange Bizeps- sehne, adressieren. Sie sind aber langfristig oft nicht in der Lage, die Entwicklung der Arthrose aufzuhalten.

Bei gescheiterter konservativer Therapie oder minimalinvasiver Arthroskopie kommt der Einsatz einer Hemiprothese oder Totalendoprothese infrage. Neuartige Oberflächen wie Pyrocarbon könnten bei Hemiprothesen helfen, die zu erwartende Erosion am Glenoid zu verringern. Grundsätzlich sollten knochensparende und konvertierbare Implantate zum Einsatz kommen, da die Patientinnen und Patienten noch vergleichsweise jung sind und Revisionseingriffe im weiteren Verlauf erwartet werden müssen. Eine präzise präoperative 3-D-Planung und die Möglichkeit zur chirurgischen Korrektur knöcherner Pfannendefekte sollte heute zum Standard-Armatorium einer modernen schulterchirurgischen Versorgung gehören.

PD Dr. med. Robert Hudek
ATOS Klinik Fleetinsel Hamburg
robert.hudek@atos.de