Oktober 2023 – Ausgabe 42
Die langfristigen Auswirkungen des Profifußballs: Spätschäden im Fokus
Prof. Dr. med. Hajo Thermann
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Schlüsselwörter: Gonarthrose, Sprunggelenksarthrose, Hüftarthrose, Achillessehnenverletzung, Außenbandinstabilität
Die Spätschäden bei älteren ehemaligen Berufsfußballspielerinnen bzw. -spielern sind die Folge von kumulativen Effekten, von repetitivem Stress vor allem der unteren Extremitäten, während der Jahre des aktiven Fußballspielens. Hinzu kommt, dass die Profisportlerinnen und -sportler nach epidemiologischen Untersuchungen innerhalb von zehn Jahren ihrer Karriere mindestens eine Operation und mehrere schwere Verletzungen erlitten haben. Hingegen verlieren die Verletzungen, die während der aktiven Karriere zu einer Unterbrechung der Teilnahme am Fußballsport führen, wie die mehr als 30 Prozent der Traumata ausmachenden Muskelverletzungen, mit zunehmendem Alter an Bedeutung.
Hauptproblematik nach Karriereende
Das Hauptproblem bei älteren Ex-Fußballprofis ist natürlich die Osteoarthrose des Knie- und Sprunggelenkes, teilweise auch, allerdings untergeordnet, im Bereich des Hüftgelenkes.
Chronische Sehnenverletzungen betreffen in erster Linie die Achillessehne, teilweise auch die Patellasehne mit entsprechenden Veränderungen des Femoropatellargelenkes und des Extensormechanismus.
Verletzungen des Bandapparates, vor allem der Außenbänder, führen häufig zu chronischen Instabilitäten, die dann in einen Rückfußvarus mit schwerster Varusarthrose und Knorpelschäden im medialen Kompartiment und als Spätfolge in eine schwere Varusarthrose münden.
Intensität und Belastung
Die hohe Intensität und die jahrelange Sportaktivität mit erheblichen Belastungen für den Körper durch Training und Wettkampf führen bei Profisportlerinnen und -sportlern zu sportbedingten Gesundheitsrisiken. Hier treten die meisten Verletzungen während der Spiele und des Trainings auf höchstem Level des Fußballsports auf.
Epidemiologische Vergleichsstudien zeigen, dass der Fußball im Vergleich zu anderen Sportarten mit die höchsten Verletzungsraten aufweist. Die häufigsten Verletzungen noch während der aktiven Zeit sind Muskelverletzungen, Ligamentverletzungen sowie Muskelprellungen, vor allem im Bereich des Oberschenkels, des Knies und des Sprunggelenkes.
Geringere Risiken bestehen für kardiovaskuläre Erkrankungen wie akuten Myokardinfarkt oder Arrhythmien (Herzrhythmusstörungen).
Zusätzlich führt ein kontinuierliches exzessives Training in Kombination mit unzureichender Regenerationszeit zu einem Übertrainingssyndrom mit Überlastungsverletzungen (hier auch Stressfrakturen),
schlechter Wettkampfleistung während der Spiele sowie Stimmungsschwankungen und Defiziten im Bereich des Immunsystems.
Langzeitfolge Osteoarthrose
Die wichtigste Langzeitfolge rigoroser physischer Aktivität ist die Entwicklung von Osteoarthrose. Degenerative Gelenkerkrankungen sind die häufigsten Formen der Arthrose und führen zu irreversiblen Schäden und pathologischen Veränderungen des betroffenen Gelenkes. Die Hauptsymptome sind Schmerzen, Steifheit, Funktionseinschränkung, Instabilität, Deformität, Schwellung und Krepitationen.
In Wohlstandsländern sind Verletzungen die zehnthäufigste Ursache für Disabilität (Invalidität) und für 2,5 Prozent der sogenannten „Total Disability Adjusted Life Years“ (DALYs) verantwortlich. Das englische Akronym steht für die so bezeichneten verlorenen gesunden Lebensjahre.
Vergleicht man das Alter und das Geschlecht der an Osteoarthrose erkrankten Leistungssportlerinnen und -sportlern, so zeigt sich, dass diese Personen mit Osteoarthrose Komorbiditäten (sowohl muskuloskelettale als auch nichtmuskuloskelettale) mit einer Odds Ratio von 2,35 aufweisen, also ein stark erhöhtes Risiko tragen.
Was die Forschung dazu sagt
Ekstrand et al. untersuchten das Verletzungsgeschehen bei europäischen Spitzenfußballspielerinnen und -spielern prospektiv über einen Zeitraum von sieben Jahren. Die Gesamtverletzungsrate betrug acht Verletzungen pro 1000 Stunden Wettkampf/Training bzw. 27,5 Verletzungen während der Spiele innerhalb der Beobachtungszeit.
In einer weiteren Studie mit 91 englischen Profifußballvereinen, die über zwei Spielzeiten beobachtet wurden, betrug der Anteil der Sprunggelenks- und Knieverletzungen 34 Prozent aller Verletzungen. Die Besonderheit bei Profisportlerinnen und -sportlern besteht darin, dass ihre Exposition nicht nur hochintensiv, sondern auch zeitlich extensiv ist. Dies sind Grundvoraussetzungen für eine systematische Schädigung der Gewebestrukturen durch eine Vielzahl von Impacts über einen längeren Zeitraum.
Eine holländische Studie an Fußballprofis zeigte bereits 1981, dass im Vergleich zu „matched“-Kontrollen bei 42 Prozent der ehemaligen Fußballprofis eine Knie- und Sprunggelenksosteoarthrose diagnostiziert wurde. Dem gegenüber waren es nur 5 Prozent in den Kontrollgruppen.
Kujala et al. 1994 fanden eine deutlich erhöhte Rate von stationären Behandlungen bei Elite-Fußballspielern wegen Knie- und Sprunggelenksosteoarthrose im Vergleich zu altersangepassten Kontrollen, die mit einer Odds Ratio von 2,1 ein mehr als doppelt so hohes Risiko aufwiesen. Maria Theres Kuijt et al. untersuchten in einem systematischen Review der neueren Literatur die Inzidenz von Knie- und Sprunggelenksarthrose bei ehemaligen Spitzenfußballspielern. Von 37 Artikeln zu diesem Thema konnten aufgrund systematischer Fehler nur vier Studien in die systematische Recherche eingeschlossen werden. Die Prävalenz der Kniearthrose liegt nach diesem Review zwischen 60 und 80 Prozent.
Elleuch et al. untersuchten die Prävalenz von Knieosteoarthrose bei 50 ehemaligen Top-Fußballspielern. Das Durchschnittsalter lag bei fast 50 Jahren und die durchschnittliche Dauer der Fußballkarriere
bei etwa 10,7 Jahren. Die Osteoarthrose wurde durch radiologische Untersuchungen festgestellt. Die Prävalenz dieser radiologischen Untersuchung auf Knie- Osteoarthrose zeigt das Vorhandensein von 80 Prozent osteoarthrotischer Veränderungen in der Klientel.
Eine Arbeit von Krajnc et al. aus dem Jahr 2010 zeigt ebenfalls ein vergleichbares Alters- und Karriereprofil. Hier wurde das Stadium 2 nach Kellgren-Lawrence als Kriterium gewählt, 60 Prozent der Spieler hatten zu diesem Zeitpunkt bereits Typ 2 erreicht. Weitere Studien von Turner aus dem Jahr 2000 beziffern die Rate der Knie-Osteoarthrose auf etwa 46 Prozent.
Im Fokus: Knie und Sprunggelenk
Die Untersuchung von 500 ehemaligen englischen Fußballprofis wurde mittels eines Fragebogens durchgeführt. Die Rücklaufquote betrug fast 40 Prozent.
Auch hier lag das Durchschnittsalter bei etwa 50 Jahren, die durchschnittliche Karrieredauer bei 14,3 Jahren und die Prävalenz der Diagnose Osteoarthrose bei 40,3 Prozent, etwa gleichmäßig verteilt auf das linke und das rechte Knie. Eine Osteoarthrose des Sprunggelenkes wurde bei 12 Prozent diagnostiziert. Auch hier sind linkes und rechtes Sprunggelenk in etwa gleich verteilt. Auffällig ist, dass das durchschnittliche Alter bei der Diagnosestellung beim Knie 36,1 Jahre und beim Sprunggelenk 30 Jahre betrug. Das deutet darauf hin, dass die Verletzungsfolgen am Sprunggelenk deutlich früher nach dem Karriereende auftreten als am Knie.
In den ersten Studien von Krajnc wurden radiologische Untersuchungen, in den anderen Studien klinische Untersuchungen durchgeführt. Dies könnte die Ursache dafür sein, dass die Raten mit 60 und 80 Prozent gegenüber 40 und 45 Prozent doch deutlich höher liegen. Ein weiterer Grund ist, dass die Länge der Karrierelaufbahn und auch das Alter der Patienten einen Einfluss haben könnten.
Die radiologische Untersuchung zeigt die beginnende Arthrose deutlicher und objektiver als die klinische Untersuchung, was die Differenz in den Zahlen erklären könnte. Vergleicht man nun die Prävalenzen aus den Studienergebnissen, so findet man am Sprunggelenk in 20 Prozent der Fälle eine OSG-Arthrose. Wenn man die klinisch diagnostizierten Knie-Osteoarthrosen der Fußballspieler von 40 bis 46 Prozent mit denen der Allgemeinbevölkerung im Alter von 45 bis 50 Jahren in England vergleicht, so findet man hier eine Arthroserate von 12,5 Prozent, d. h., die Wahrscheinlichkeit, eine Kniearthrose zu entwickeln, ist für die Elite-Fußballer dreimal so hoch. Mit einer Arthroserate von fast 20 Prozent im Sprunggelenk zeigt sich hier ebenfalls ein erheblicher Unterschied zur Arthroserate in der Allgemeinbevölkerung, die bei einem Prozent liegt. Gerade auch beim Fußball führen der Impact und die repetitiven Verletzungen auch Mikrotraumen zur Entwicklung einer Sprunggelenksarthrose.
Schlussfolgerung
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Personen, die über einen längeren Zeitraum auf hohem Niveau Fußball spielen, im Vergleich zur Normalbevölkerung ein drei- bis vierfach erhöhtes Risiko haben, im mittleren Lebensalter von etwa 50 Jahren eine Kniegelenksarthrose zu entwickeln. Signifikant höher ist der Prozentsatz im Vergleich zur Normalbevölkerung auch bei einer Arthrose im Sprunggelenk.
Nach meiner eigenen Erfahrung ist die Rate der schweren Fälle von Sprunggelenksarthrose bei Profi-Basketballspielern noch höher als beim Fußball. Die Häufigkeit des Auftretens von Arthrose, auch in jungen Jahren, hängt natürlich von der Komplexität der Verletzungen ab. An erster Stelle steht hier die Kreuzbandverletzung, die, wenn nicht sofort, so doch mittelfristig zum Karriereende und dann eben auch zur Entwicklung einer Arthrose führt. In diesen Fällen ist nicht nur die Instabilität, sondern auch der primäre Impact bei der Valgusverletzung einer Kreuzbandruptur auf das laterale Kompartiment ausschlaggebend.
Aus eigener Erfahrung
Wer professionell Fußball spielt, benötigt irgendwann wahrscheinlich eine Knieprothese, so auch ich nach rund sechs Jahren Profisport, ohne je eine schwere Knieverletzung erlitten zu haben. Im vergangenen Jahr wurden beim Autor beide Kniegelenke mit Totalendoprothese und Teilgelenkersatz / Schlittenprothese ersetzt (Abb. 2,3) (siehe dazu auch ATOS News Magazin Ausgabe 39/Mai 2022).
Ausblick: Spätschäden im Profifußball
Wie die Zahlen in zehn Jahren aussehen werden, bleibt abzuwarten. Es ist aber davon auszugehen, dass heute schon ab dem zwölften Lebensjahr in den Fußballakademien unter professionellen Bedingungen auf einem höheren Intensitäts- und auch Ausdauerniveau als früher gespielt wird, sodass arthrotische Veränderungen in den Knie- und Sprunggelenken möglicherweise früher auftreten werden.
Literatur beim Verfasser
Prof. Dr. med. Hajo Thermann
IZO – Internationales Zentrum für Orthopädie
ATOS Klinik Heidelberg
hajo.thermann@atos.de