Oktober 2019 – Ausgabe 34
Stress mit Nahrungsmitteln: Allergie oder Intoleranz? Molekulare Allergiediagnostik gibt Sicherheit
Dr. med. Verena Mandelbaum
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Obwohl jeder fünfte Erwachsene glaubt, an einer Nahrungsmittelallergie zu leiden, handelt es sich in den meisten Fällen „nur“ um Intoleranzen. Im Unterschied zur echten Allergie sind diese dosisabhängig, so dass geringe Mengen des betreffenden Nahrungsmittels nicht gemieden werden müssen. Mit kompetenter Beratung und spezifischer Diagnostik durch Allergologen lassen sich daher strenge Diäten häufig vermeiden.
Nahrungsmittelallergien können sehr starke Reaktionen hervorrufen, die schlimmstenfalls zum lebens-bedrohlichen Schock führen können. Andererseits glauben 20 % der Erwachsenen an einer Nahrungsmittel-Allergie zu leiden, dabei liegt nach mehrfachen Studien die Häufigkeit für Erwachsene bei 2 % und bei Kindern bei 4 – 6 %. Die Palette der Symptome reicht vom „Bizzeln“ im Mund, Unwohlsein, Bauchschmerzen, Hautausschlägen, Atemnot bis zum reanimationspflichtigen Zwischenfall nach Verzehr bereits von Spuren.
Am häufigsten sind Kreuzallergien. Sie entstehen, weil die Proteinstrukturen der Allergene ähnlich sind. Wer beispielsweise Äpfel nicht verträgt, reagiert häufig auch auf Haselnüsse, die wiederum ebenfalls kreuzallergen zu Birkenpollen sind. Daraus resultieren lokale Symptome, aber im Gegensatz zur echten Allergie führt der Verzehr von Spuren nicht zum Schock. Kreuzallergien gibt es typischerweise auf Baum- und Gräser- oder Kräuterpollen.
Anders bei echten Nahrungsmittelallergien. Die Unterscheidung gelingt mittels molekularer Allergie-Diagnostik im praxiseigenen Speziallabor. So gibt es die echte Haselnuss-Allergie, bei der bereits der Verzehr von Spuren starke Reaktionen bis zum Schock auslösen kann. Bestimmte Risikoallergene der Nuss können nachgewiesen werden und rechtfertigen das ständige Mitführen eines Notfallsets, um bei versehentlichem Verzehr schnell eingreifen zu können.
Typische echte Allergene sind im Kindesalter Kuhmilch, Hühnerei, Nüsse, Soja, Weizen oder Fisch. Erwachsene haben eher Allergien auf Gewürze (z. B. Sellerie), Nüsse, Hülsenfrüchte, Fisch, Schalentiere, Milch,Hühnerei oder Getreide wie Weizen. Die Bestimmung von Lipid-Transfer-Proteinen, Speicherprote inen, Profilinen und Procalcinen hat eine erhebliche Sicherheit in den Alltag nahrungsmittel-allergischer Patienten gebracht und steigert erheblich die Lebensqualität. Liegt eine Allergie vor, zeigt sich dies meistens durch eine Erhöhung des Immunglobulin E (Ig E) im Blut. Das spezifische Ig E eines bestimmten Allergens deutet auf diese Sensibilisierung hin. Durch die Bestimmung der rekombinanten Allergene kann bei einem Großteil der Betroffenen nicht nur das Allergen bestimmt, sondern auch das Risiko und teilweise auch die langfristige Prognose der Nahrungsmittelallergie abgeschätzt werden.
Die Symptome können bereits bei Säuglingen auftreten. Das Besondere bei Kindern ist, dass die Allergien auf Hühnerei und Kuhmilch zu 80 % nach dem zweiten Lebensjahr verschwinden. Im Säuglingsalter können Bauchschmerzen, häufiges Schreien, blutige Durchfälle und Gedeihstörungen Zeichen für eine Nahrungsmittelallergie sein. Häufig sind sie begleitet von juckender geröteter Haut im Sinne einer atopischen Dermatitis.
Bereits im Alter von wenigen Wochen kann bei den kleinen Kindern mittels Blutuntersuchung eindeutig geklärt werden, ob eine Ei- oder Kuhmilch-Allergie vorliegt. Die einzelnen molekularen Allergenbausteine erlauben eine Vorhersage, ob gekochtes Allergen eventuell vertragen wird, und eine Prognose über die weitere Entwicklung. Eine entsprechende Diät mit Umstellung auf ei- oder milchfreie Kost für zunächst ein Jahr ist wichtig. Der Ersatz durch Ziegen-, Stuten- oder Schafsmilch ist wegen der hohen Kreuzreaktivität nicht ausreichend. Mit einem erneuten Bluttest nach diesem Jahr kann das weitere Vorliegen der Allergie bestimmt und unnötige Fütterversuche vermieden werden.
Auch bei Milben-, Fisch- oder Haustier-Allergie wie Katze, Hund, Pferd hilft die molekulare Allergiediagnostik, eventuell dadurch bedingte Nahrungsmittelallergien aufzudecken. Die Analyse des differenzierten Allergieprofils im Anschluss an eine ausführliche ärztliche Anamnese führt durch Interpretation der Ergebnisse zur deutlichen Besserung der Lebensqualität.
Bei Erwachsenen sind Intoleranzen häufiger
Bei Erwachsenen sind die geschilderten Symptome jedoch häufig nicht auf eine Allergie zurückzuführen, also eine Immunantwort des Körpers auf ein Eiweiß in einem Nahrungsmittel, sondern eine Intoleranz (Unverträglichkeit) führt dazu, dass der Körper mit Krankheitszeichen reagiert. Hierbei handelt es sich zum Beispiel bei der Laktoseintoleranz um einen Enzym-defekt. Durch die abgeschwächte Funktion des Enzyms Laktase im Darm kann Milchzucker nicht aufgespalten werden. Dadurch kommt es nach Verzehr von Milchprodukten – in Abhängigkeit von der Menge – zu unterschiedlich starken Symptomen wie Völlegefühl, Bauchschmerzen oder Durchfällen. Dies kann für die Lebensqualität sehr einschränkend sein, eine Gefahr einer schweren Reaktion im Sinne eines Schocks besteht aber nicht und Spuren von Milchprodukten müssen nicht gemieden werden. Durch Einnahme des Enzyms Laktase in Tabletten zum Essen können die Krankheitszeichen deutlich gemildert werden. Die Laktose-Intoleranz wird durch den H2-Atemtestnachgewiesen. Hierbei wird über die Dauer von ungefähr zwei Stunden regelmäßig mittels kurzem Ausatemtest die Enzymtätigkeit überprüft. Danach steht fest, ob eine Laktoseintoleranz vorliegt. Zusätzlich zu einer ausführlichen Beratung kann eine gesonderte Ernährungsberatung durch unsere Spezialistin im Haus erfolgen.Mit dem H2-Atemtest können auf gleiche Art und Weise eine Unverträglichkeit auf Fruchtzucker bei der Fruktoseintoleranz oder auf Süßstoff bei der Sorbitintoleranz nachgewiesen werden. Der H2-Atemtest kann häufig schon ab einem Alter von fünf Jahren in unserer Praxis durchgeführt werden. Nicht-allergische Nahrungsmittelreaktionen können aber auch durch biogene Amine wie bei der Histaminintoleranz hervorgerufen werden. Reaktionen treten dann typischerweise nach dem Verzehr histaminhaltiger Speisen wie Käse, Ketchup oder nach Genuss von Rotwein auf. Das individuelle Arzt-Patienten-Gespräch zu Beginn der Behandlung klärt anhand der geschilderten Symptome, welche weitere Diagnostik die Ursache der Nahrungsmittelreaktion aufdecken kann. Ob Spuren gemieden werden müssen, weil sonst ein Schock droht, oder lediglich der Verzehr eingeschränkt werden muss, bringt für den einzelnen Patienten Klarheit und macht die häufig unnötig durchgeführten Diäten überflüssig.