Oktober 2019 – Ausgabe 34
Läsionen der langen Bizepssehne – Tenotomie oder Tenodese?
Die lange Bizepssehne (LBS) ist ein „Troublemaker“ im Schultergelenk. Sowohl im Bereich ihres Ansatzes am Tuberculum supraglenoidale (SLAP-Läsion) als auch in ihrem intraartikulären Verlauf (teilweise oder vollständige Ruptur) bis hin zum Eintritt in den Sulkus (Pulley-Läsion) gibt es strukturelle Schäden, die zu erheblichen Schmerzen und funktionellen Einschränkungen führen können. Das klinische Beschwerdebild bei diesen Läsionen ist variabel und multiform – es kann von belastungsabhängigen Schmerzen bis hin zu massiven funktionellen Einschränkungen führen. In den seltensten Fällen ist bei diesen Pathologien eine anatomische Rekonstruktion möglich oder sinnvoll. In der Regel stellt sich die Frage nach einer extraanatomischen Befestigung (Tenodese) oder einfachen Ablösung (Tenotomie) der langen Bizepssehne.
SLAP-Läsionen
Der Ansatz der LBS am Tuberculum supraglenoidale erfolgt über das Labrum glenoidale. Durch eine traumatische Gewalteinwirkung, z. B. im Rahmen einer Schulterluxation, häufiger jedoch durch rezidivierende Mikrotraumata z. B. bei Überkopfsportlern und durch Verschleißveränderungen des bradytrophen Gewebes, kann es zu teilweiser oder vollständiger Ablösung der oberen Anteile dieser Gelenklippe kommen die zu einer Instabilität der LBS führt und dadurch Bewegungs- und Belastungsschmerzen, Einklemmungsphänome und eine reaktive Bewegungseinschränkung verursachen kann. Die Bezeichnung SLAP bedeutet abgekürzt: Schädigung des superioren Labrum von anterior nach posterior. Der Untersuchungsbefund ist unspezifisch. Typisch sind ein positives Apprehension-Zeichen und ein schmerzhafter O`Brien Test. Der Nachweis gelingt mit einem Nativ-MRT oder besser nach intraartikulärer Kontrastmittelinjektion, wobei eine große individuelle Variabilität des Ansatzes nicht selten zu falsch positiven Interpretationen führt.
In der chirurgischen Therapie konkurrieren die arthroskopische Refixation des Bizepssehnenankers als ana-tomische Rekon-struktion mit der einfachen Ablösung der LBS oder deren Fixation im Sulkus oder subpektoral als extraanatomische Verfahren. In einer Metaanalyse der aktuellen Literatur kamen Ren et al. (2019) zu dem Resultat, dass die extraanatomischen Verfahren der anatomischen Rekonstruktion überlegen sind. Insbesondere die Sportfähigkeit von Überkopfsportlern ist durch einen SLAP-Repair häufig nicht zu erreichen.
LBS-Rupturen
Die akute Ruptur der LBS erfolgt meist spontan oder im Rahmen einer inadäquaten Gewalteinwirkung. Sie ist Folge degenerativer Veränderungen und steht häufig im Zusammenhang mit einer Läsion der Supraspinatus- oder Subskapularissehne. Nicht selten kommt es nach länger vorbestehenden Beschwerden, z. B. durch eine Auftreibung der Sehne im intraartikulären Verlauf (Sanduhrphänomen, zu der Spontanruptur mit anschließender Beschwerdefreiheit. Eine anatomische Rekonstruktion, d.h. eine End-zu-End-Naht der Sehne, ist nicht möglich. Da keine funktionellen Einschränkungen zu erwarten sind, wird die Schädigung v.a. bei älteren Menschen in der Regel nicht operativ behandelt. Nur bei kosmetisch stark störender Deformität (so genanntes Popeye-Zeichen) wird in Einzelfällen eine Tenodese vorgenommen.
Pulley-Läsionen
Als Pulley wird die u.a. durch die Lig. glenohumerale superius gebildete bandartige Struktur bezeichnet, die im Rotatorenintervall die LBS umschließt und so an dieser Stelle in der richtigen Position hält.
Durch einmalige oder rezidivierende Gewalteinwirkung, häufiger aber durch degenerative Veränderungen, kann es zu einer Auffaserung dieser Schlinge und zu einer Zerreißung kommen. Dadurch ist die LBS nach medial nicht mehr stabil geführt mit der Folge von belastungs- und positionsabhängigen schmerzhaften Subluxationen.
Im fortgeschrittenen Stadium kann es zu Schäden an der benachbarten Subskapularissehne, bei einer voll-ständigen Luxation aus dem Sulkus sogar zu deren kompletten Abriss kommen. Eine anatomische Rekonstruktion des Pulley ist nicht möglich – auch in diesem Fall bestehen die alternativen Optionen in einer Tenodese oder Tenotomie der LBS.
Bizepstenodesen
Bei der arthroskopischen Tenodese der LBS wird die Sehne mit einem Fadenanker im Sulkus befestigt und der intraartikuläre Anteil wird reseziert. Verbreitet ist die so genannte Lassotechnik, bei der die LBS mit einer Schlinge durchflochten und so flächig auf den angefrischten Knochen gepresst wird (Abb. 6); alternative Techniken verwenden Endobuttons, um die Sehne in ein vorgebohrtes Loch im Sulkus zu ziehen. In offener Technik erfolgt die subpektorale Tenodese über eine weiter distal gelegene Inzision. Auch dafür werden in der Regel stabile Endobuttons verwendet.
Bizepstenotomie
Bei der Tenotomie wird die LBS arthroskopisch direkt bei ihrem Abgang aus dem Labrum durchtrennt. Sie gleitet dann durch den Muskelzug in den Sulkus, wo sie im Laufe der Zeit narbig stabil verwächst. Wenn das Labrum zwischen 11 und 1 Uhr vom Tuberkulum glenoidale mit abgelöst wird, soll es zu einem Verklemmen der Sehne beim Eintritt in den Sulkus (so genannte Autotenodese) kommen.
Pros und Kontras
Vorteil der Tenodese ist das Ausbleiben kosmetischer Veränderungen der beugeseitigen Oberarmmuskulatur. Nachteilig ist die relativ aufwändige arthroskopische Operationstechnik, die einer längeren Lernkurve bedarf. Die Schulter muss nach dem Eingriff mindestens für zwei Wochen auf einem Abduktionskissen ruhig gestellt werden und auch danach müssen für sechs Wochen spezifische Belastungen der Tenodese (Halten von Lasten am ausgestreckten Arm, forcierte Supinationsbewegungen im Ellbogen gegen Widerstand) vermieden werden. Dennoch wird in bis zu 1/4 der Fälle ein sekundäres Abreißen der Sehne beobachtet. An der Stelle, an der der Anker eingebracht wurde, kann es über Monate zu Druckschmerzen kommen.Bei der subpektoralen Tenodese ist das Auftreten eines sekundären Abreißens seltener. Hier besteht die Schwierigkeit in der korrekten Dosierung der Spannung, da die Länge der Sehne variabel und der isometrische Punkt von Sehne und Knochen nicht leicht zu ermitteln ist. Bei zu hoher Spannung kann es zu anhaltenden Verkrampfungen des Bizepsmuskels kommen. Vorteil der Tenotomie ist die sehr einfache Operationstechnik. Wenn es sich um einen isolierten Eingriff handelt, kann die Schulter anschließend direkt funktionell behandelt und schmerzangepasst belastet werden. Nachteil ist in erster Linie die mögliche kosmetische Veränderung des Muskelbauches. Pouliquen et al. (2018) beschrieben bei 15% der Patienten sechs Monate nach der Tenotomie ein erkennbares Popeye-Zeichen, v.a. bei
muskulösen Männern. Funktionell waren die Patienten mit Deformität aber sogar besser als die Patienten mit normaler Muskelkontur. Die Arbeitsgruppe um Ohet al. (2016) beschrieb ein Popeye Zeichen bei 37 % nach Tenotomie, aber auch bei 26 % nach Tenodese. Lediglich ein Patient beider Gruppen klagte sechs Monate nach dem Eingriff noch über störende Muskelkrämpfe im Bizeps. Nach Tenotomie war die Supination gegen Wider-stand gegenüber der Tenodese geringfügig, aber nicht statistisch signifikant eingeschränkt.
Fazit
Bei den meisten Pathologien der LBS in ihrem intraartikulären Verlauf ist eine anatomische Rekonstruktion nicht sinnvoll oder erfolgversprechend. Ausnahme ist eine traumatische SLAP-Läsion bei jungen Patienten z. B. nach einer Schulterluxation. Bezüglich der extraanatomischen Verfahren gelten zurzeit die folgenden Erkenntnisse
- Die funktionellen Resultate nach LBS-Tenotomie oder -Tenodese unterscheiden sich nicht.
- Ein „Popeye–Zeichen“ ist bei 1/3 der Patienten nach Tenotomie, aber auch in ¼ der Fälle nach Tenodese zu beobachten.
- Patienten mit einem Popeye-Zeichen haben kein schlechteres funktionelles Ergebnis als solche mit postoperativ normalem Muskelrelief.
Die Indikation zur Tenodese ergibt sich daher in erster Linie bei jungen muskelkräftigen Männern und bei Patienten, die nach ausführlicher Aufklärung über die aufwändigere Nachbehandlung darauf bestehen.
Sollte tatsächlich ein Popeye-Zeichen unmittelbar postoperativ als störend empfunden werden, kann dies zeitnah durch eine subpektorale Tenodese behoben werden.