Mai 2023 – Ausgabe 41
Hüftchirurgie im hohen Alter
Prof. Dr. med. Rudi G. Bitsch
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Schlüsselwörter: Hüftoperation in hohem Alter, minimalinvasive Hüftendoprothese, AMIS-Technik, zementierte Hüftendoprothese, Komorbidität
Bei Hüftoperationen im hohen Alter ergeben sich Komplikationen selten während der Operation oder Narkose, sondern meist erst danach durch Operationsfolgen, Begleiterkrankungen und eine erschwerte Rekonvaleszenz. Patientenindividuelle Risiken müssen berücksichtigt werden, schonende Anästhesieverfahren und minimalinvasive Operationstechniken mit geringerem Blutverlust, weniger Analgetikabedarf sowie schneller Mobilisation sind zu bevorzugen.
Lebenserwartung und der zunehmenden Prävalenz von altersbedingten Erkrankungen wie Arthrose und Osteoporose ein wichtiger werdendes Thema. Laut Endoprothesenregister Deutschland (EPRD) wurden 2021 in Deutschland etwa 158.690 primäre Hüftendoprothesen implantiert, während die Anzahl der endoprothetischen Revisionen 12.513 betrug. Im gleichen Jahr wurden etwa 87.000 Frakturen am proximalen Femur operativ behandelt und in den entsprechenden Registern erfasst.
Mortalität bei über 80-Jährigen erhöht
Eine Hüftoperation im hohen Alter kann aufgrund von Komorbiditäten, Begleiterkrankungen, reduzierter Knochenqualität und erhöhten Anästhesie-Risiken eine Herausforderung darstellen. Das Risiko, im hohen Alter an einer Operation am Hüftgelenk zu versterben, hängt dabei von verschiedenen Faktoren ab, einschließlich des allgemeinen Gesundheitszustands des Patienten, der Art der Operation, der verwendeten Operationstechnik, des Operationszeitpunkts und des Patientenalters selbst.
Laut einer Studie, die Daten des deutschen Endoprothesenregisters (EPRD) analysierte, betrug die 30-Tage-Mortalität nach primärer Hüftendoprothesen-Implantation bei Patienten im Alter von über 80 Jahren im Jahr 2019 etwa 0,8 %. Im Vergleich dazu betrug die 30-Tage-Mortalität nach endoprothetischen Revisionen bei dieser Altersgruppe etwa 2,5 %.
Bei Frakturbehandlungen am proximalen Femur ist das Sterberisiko im Allgemeinen höher als bei primären Hüftendoprothesen-Implantationen. Laut Studien, die die Daten des Trauma-Registers der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) analysierten, betrug die Krankenhausmortalität nach Behandlung von pertrochantären Frakturen bei Patienten unter 64 Jahren 2,1 %, in der Gruppe der über 85-Jährigen 8,6 %, während die 30-Tage-Mortalität nach Behandlung von Schenkelhalsfrakturen 6,8 % betrug.
Das Team der behandelnden Ärzte und Ärztinnen sollte die individuellen Risiken und Begleiterkrankungen der Patienten berücksichtigen und eine maßgeschneiderte Behandlung planen. Eine wichtige Möglichkeit, die Risiken bei der Hüftchirurgie im hohen Alter zu reduzieren, ist die Verwendung von minimalinvasiven Techniken, um eine Bettlägerigkeit zu vermeiden und den Krankenhausaufenthalt möglichst kurz zu halten. Auch die Nachsorge und Rehabilitation spielen hierbei eine wichtige Rolle.
Maßnahmen zur Risikoreduktion
Um das Risiko für Patienten bei Operationen am Hüftgelenk im hohen Alter zu reduzieren, sind besondere Überlegungen und Vorkehrungen zu treffen. Hier sind einige Punkte, die berücksichtigt werden sollten:
Begleiterkrankungen und Medikamente
Im hohen Alter treten Begleiterkrankungen wie kardiologische, endokrinologische, nephrologische, angiologische, neurologische, gastroenterologische, pulmologische oder urologische Erkrankungen häufiger auf und erhöhen das Operationsrisiko. Während eines stationären Aufenthaltes ist häufig die Gabe von mehreren Medikamenten notwendig. Somit sind Kenntnisse der Wirkungen, Arzneimittelinteraktionen und Herstellerempfehlungen unverzichtbar, um schwerwiegende Nebenwirkungen zu verhindern. Begleitmedikationen, die eine arterielle Hypotonie unter Narkose begünstigen und es erschweren, die Normoglykämie aufrechtzuerhalten, und Gerinnungshemmer müssen in der Regel weggelassen wer- den. Immunsupprimierende Medikamente sollten minimiert werden.
Anästhesie und multimodale Schmerztherapie
Die Auswahl des Narkoseverfahrens hängt von verschiedenen Faktoren ab, einschließlich des Gesundheitszustands des Patienten sowie der Art der Operation. Bei älteren Patienten werden oft regional- anästhetische Verfahren wie die Spinalanästhesie gegenüber der Vollnarkose bevorzugt, da diese das Risiko von kardiopulmonalen Komplikationen oder eines postoperativen Delirs reduzieren können.
In aktuellen, groß angelegten Vergleichsstudien konnte jedoch kein Unterschied zwischen den Anästhesieverfahren bezüglich schwerer Nebenwirkungen festgestellt werden, sodass hier keine generelle Empfehlung gegeben werden kann. Den Patienten sollten deshalb nach ausführlicher Diskussion der Vor- und Nachteile beide Verfahren angeboten werden.
Eine angemessene Schmerzkontrolle unter engmaschiger Kontrolle des Schmerzempfindens ist für den Erfolg der Operation und für die postoperative Rehabilitation entscheidend. Bei älteren Patienten ist es besonders wichtig, eine multimodale Schmerztherapie von zwei oder mehr analgetisch wirksamen Medikamentengruppen zu verwenden, um den Opioidbedarf zu senken und das Risiko von Nebenwirkungen wie Atemdepression, Verwirrung und Sturzgefahr zu minimieren.
Knochenqualität und Implantatwahl
Im Alter kann die Knochenqualität aufgrund von Osteoporose oder anderen Erkrankungen beeinträchtigt sein. Dies kann dazu führen, dass die Fixierung der Prothese schwieriger wird und das Risiko von Prothesenlockerungen oder intraoperativen Frakturen erhöht ist. Der Operateur muss daher die Knochenqualität sorgfältig beurteilen und gegebenenfalls das Operationsverfahren anpassen.
Bei hochbetagten Patienten mit bekannter Osteoporose oder einer dislozierten intrakapsulären, medialen Schenkelhalsfraktur sollte der zementierte Gelenkersatz bevorzugt werden, um eine sichere, stabile und sofort voll belastbare Implantatfixierung zu gewährleisten (Abb. 1a, b). Weiterhin sollte eine Hüfttotalendoprothese (HTEP) gegenüber der Hemiarthroplastie (Duokopfprothese ohne Ersatz der Hüftpfanne) immer dann bevorzugt werden, wenn Patienten Tätigkeiten des täglichen Lebens selbstständig ausführen.
Minimalinvasive Operationsverfahren
Unter den möglichen operativen Zugangswegen zum Hüftgelenk zeigt keine operative Technik nach aktueller Studienlage einen klaren Vorteil. Die meisten Hüftgelenksoperationen werden über einen hinteren (posterioren) oder seitlichen (anterolateralen) Zugangsweg durchgeführt; diese beiden Zugangswege zur Hüfte können deshalb als Standard bezeichnet und auch minimalinvasiv durchgeführt werden.
Die Möglichkeit der sofortigen postoperativen Vollbelastung sollte insbesondere bei der Versorgung von Menschen im hohen Alter das Ziel von Hüftoperationen sein, und dieses ist in meinen Händen am sichersten und schonendsten über den minimalinvasiven, direkten vorderen Zugang mit der AMIS-Technik unter Verwendung einer speziellen Lagerungshilfe zu erreichen (Abb. 2). Der direkte vordere Zugang ermöglicht es, das Hüftgelenk zugänglich zu machen, ohne Weichgewebe und Muskeln oder deren Innervation zu beschädigen. Dies führt zu einem geringeren Blutverlust, weniger Schmerzen, einem geringeren Analgetikabedarf, einer schnelleren und leichteren Rehabilitation für den Patienten.
Revisionsendoprothetik und beeinflussbare Komorbiditäten
Im Jahr 2021 wurden in Deutschland 17.752 Revisionseingriffe am Hüftgelenk im Endoprothesenregister Deutschland (EPRD) dokumentiert. Die häufigsten Ursachen waren Lockerungen (24,4 %), Infektionen (16,7 %), periprothetische Frakturen (14,3 %) und Luxationen (13,0 %). Aufgrund der drohenden Befundverschlechterung oder Immobilität ist die operative Therapie meist unumgänglich.
Wichtige und potenziell beeinflussbare Komorbiditäten waren hierbei die präoperative Anämie, Koagulopathien, infektiologische Erkrankungen (sanierungsbedürftiger Zahnstatus, Harnwegsinfekte, Besiedelung mit Staphylokokken), Stoffwechselerkrankungen (Adipositas, Malnutrition, Diabetes mellitus, Osteoporose) und der Nikotinabusus.
Vor einer Wechseloperation am Hüftgelenk sind, wie auch bei primären Operationen bei alten Patienten, die Optimierung des Gesundheitszustandes und ein Patient Blood Management besonders wichtig. Hierzu bedarf es in der Regel eines interdisziplinären Therapieansatzes unter Mitarbeit und Koordination des Hausarztes. Die präoperative Optimierung aller beeinflussbaren Komorbiditäten kann die Komplikationsrate des Eingriffs deutlich senken. Eine intensive Aufklärung über die Folgen einer Untätigkeit und eine gute Arzt-Patienten-Beziehung sind essenziell wichtig, um die Bereitschaft der Patienten zur aktiven Mitwirkung an den vorbereitenden therapeutischen Maßnahmen zu erhöhen.
Infektionsprophylaxe
Das Risiko von Infektionen ist bei älteren Patienten aufgrund eines häufig geschwächten Immunsystems erhöht. Daher sind die Infektionsprophylaxe mit prophylaktischer Antibiotikagabe bei primären Operationen und die sorgfältige Differentialdiagnostik von Prothesenlockerungen besonders wichtig, um das Risiko von Wund- und Protheseninfektionenzu reduzieren.
Postoperative Rehabilitation, frühe Mobilisation und Sturzprophylaxe
Die Rehabilitation nach einer Hüftoperation ist ein wichtiger Faktor für deren Erfolg. Bei älteren Patienten kann die Erholung länger dauern und es kann schwieriger sein, eine vollständige Wiederherstellung der Funktion zu erreichen. Eine sorgfältige Planung und Überwachung der Rehabilitation von erfahrenen Physiotherapeuten ist daher unerlässlich, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Nach der Operation sollte es insbesondere bei älteren Patienten das Ziel sein, eine Mobilisation möglichst schnell, spätestens jedoch innerhalb der ersten 24 Stunden, zu erreichen, um das Risiko von postoperativen Komplikationen wie Thrombose, Embolie und Pneumonie zu reduzieren. Diese Mobilisation ist dabei individuell anzupassen, um das Risiko von Überanstrengung und Stürzen zu minimieren.
Die Durchführung einer Anschlussheilbehandlung wird ausdrücklich empfohlen. Stürze stellen auch langfristig bei älteren Patienten nach Hüftoperationen ein erhöhtes Risiko dar, die z. B. zu periprothetischen Frakturen mit Implantatlockerung sowie schweren anderen Verletzungen führen können. Daher ist es wichtig, Maßnahmen zur Sturzprophylaxe zu ergreifen, wie z. B. die Anpassung des Wohnumfelds, ggf. die Verwendung von Gehhilfen, die langfristige Verordnung von Physiotherapie und ergotherapeutischen Maßnahmen.
Fazit
Bei Hüftoperationen im hohen Alter werden besondere Anforderungen an Operationsvorbereitung, Anästhesie, Operateur, Operationsverfahren, Pflegekräfte, Physiotherapie und Nachbehandlung gestellt. Sie erfordern häufig einen interdisziplinären Therapieansatz, gehören in die Hände von Spezialisten und möglichst in Zentren mit erfahrenem, besonders geschultem Personal oder einer geriatrischen Fachabteilung. Die Berücksichtigung von patientenindividuellen Faktoren wie Allgemeinzustand und Komorbiditäten, anästhesiologischen Faktoren wie ideales Narkoseverfahren und Schmerztherapie, operativen Faktoren wie minimalinvasiver Zugangsweg, optimale Prothesenwahl und -fixierung sowie eine fundierte pflegerische und physiotherapeutische Nachbehandlung sind dabei obligat.