Oktober 2020 – Ausgabe 36

Das geschwollene Kniegelenk – nicht immer ist ein Verschleiß oder eine Verletzung die Ursache!

Prof. Dr. med. Christoph Becher

Prof. Dr. med. Christoph Becher
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Dr. med. Ines Dornacher
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Dr. med. Regina Max
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Dr. med. Verena Schmitt
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Keywords: Knie, Erguss, Arthrose, Arthritis, Gelenkpunktion, Synovialflüssigkeitsanalyse

Patienten suchen häufig orthopädische Praxen wegen Schmerzen und Schwellungen von Gelenken auf – oft im Bereich des Kniegelenks. Meistens ist die Ursache ein Verschleiß des Gelenks (z. B. Knorpel- oder Meniskusschaden, Arthrose etc.) oder ein Unfall (z. B. Kreuzbandriss nach Knieverdrehtrauma etc.). Allerdings kann sich eine Gelenkschwellung auch ohne Über-/Fehlbelastung oder Unfallereignis entwickeln.

Der vorliegende Beitrag entstand in Kooperation zwischen Orthopädie (IZO) und Rheumatologie in der ATOS Klinik Heidelberg und verdeutlicht die Arbeitsweise des Interdisziplinären Arthrosezentrums.

In der ATOS Klinik arbeiten KollegInnen aus den Bereichen der Orthopädie, Unfallchirurgie, Rheumatologie, Orthopä­dietechnik und Physiotherapie im Inter­- disziplinären Arthrosezentrum (IAZ) eng zusammen. Das IAZ ist von der Deut­schen Gesellschaft für Arthrosemanage­ment (DGFAM) zertifiziert. In vielen Fällen kann in diesem Zentrum durch eine ge­naue Anamnese (Erhebung der Kranken­geschichte), körperliche Untersuchung und Bildgebung der Grund der Gelenk­beschwerden rasch gefunden werden. Falls sich allerdings keine schlüssige ortho­pädisch­unfallchirurgische Ursache fin­den lässt, müssen andere Ursachen er­wogen werden. Insbesondere dann ist die Kooperation zwischen Orthopädie und Rheumatologie von Bedeutung, da auch eine Vielzahl rheumatischer Erkrankungen den Gelenkbeschwerden zugrunde lie­gen kann.

Rheumatische Erkrankungen sind soge­nannte Systemerkrankungen, bei denen alle Gelenke, Sehnen und inneren Organe involviert sein können. Zu den großen Gruppen der entzündlich­rheumatischen Erkrankungen zählen die Rheumatoide Arthritis (die häufigste Form des „Rheu­mas“), die Spondyloarthritiden (Erkran­kungen der Wirbelsäule, Sehnen und Ge­lenke), die Kollagenosen (entzündliche Bindegewebserkrankungen) sowie die Vaskulitiden (entzündliche Gefäßerkran­kungen). Wenn lediglich ein Gelenk, z. B. das Kniegelenk, geschwollen ist, spricht man von einer Monoarthritis.

Analyse der Synovialflüssigkeit zur Diagnostik

Zur Differenzierung der Ursache einer unklaren Gelenkschwellung ist die Analy­se von Gelenkflüssigkeit sehr hilfreich. Hierzu wird das betroffene Kniegelenk „punktiert“ und die Flüssigkeit aus dem Gelenkspalt abgezogen. Dies führt zu einer unmittelbaren Beschwerdelinderung durch Entlastung des geschwollenen Gelenks und ermöglicht die genaue Un­tersuchung der punktierten Flüssigkeit. Auch kann ein Medikament (z. B. Kortison) zur Behandlung der Beschwerden in das betroffene Gelenk gespritzt werden. Die gewonnene Gelenkflüssigkeit wird mi­kroskopisch untersucht. Diese „Synovial­ flüssigkeits­Analyse“ erfolgt durch die KollegInnen der Rheumatologie. Neben dem makroskopischen Aspekt (klar, trüb, blutig) ist vor allem die Bestimmung der Leukozytenzahl wichtig. Zuerst erfolgt eine Polarisationsmikroskopie, bei der meist in wenigen Sekunden schon zwi­schen einem zellarmen einem und zell­reichen Punktat unterschieden werden kann. Danach wird die Zahl der Leukozy­ten in der Bürker­Zählkammer genau bestimmt. Des Weiteren wird immer nach richtungsweisenden Kristallen gesucht, wie sie z. B. bei einer Gicht zu finden sind, und eine mikrobiologische Untersuchung veranlasst, damit eine bakterielle Ursache der Gelenkerkrankung nicht übersehen wird. Bei Punktaten aus Gelenken mit Pro­thesen kann auch Materialabrieb erkannt werden. Diese Untersuchungen können richtungsweisende Befunde für eine er­ 2 folgreiche Therapie ergeben.

Fallbericht

Eine 48­jährige Patientin – ehemals Hand­ball­Leistungssportlerin – stellte sich im November 2018 bei Prof. Christoph Becher im IZO vor, um eine orthopädische Zweit­meinung wegen einer im August aufgetre­tenen, anhaltenden Schwellung des rechten Kniegelenks (Abb. 1) zu erhalten.

Heimatnah war eine zweimalige Punktion des Kniegelenks erfolgt. Der Erguss wur­de jeweils abgezogen, durch bakteriolo­gische Untersuchung eine Infektion aus­- geschlossen sowie Kortison und mehrfach Hyaluronsäure intraartikulär injiziert. Diese Maßnahmen führten nur zu einer passageren Besserung der Symptomatik; Hyaluronsäure hatte keinen positiven Ef­fekt. Der Patientin wurde daraufhin eine Arthroskopie empfohlen; danach wandte sie sich an Professor Becher.

Die mitgebrachte Bildgebung einschließ­lich MRT­Diagnostik zeigte eine initiale Arthrose mit bereits deutlichen Knorpel­schäden und einen ausgeprägten Knie­gelenkerguss (Abb. 2) bei intaktem Band­ apparat. Bei der klinischen Untersuchung fand sich ein erheblich geschwollenes, nicht gerötetes und nicht wesentlich überwärmtes Kniegelenk rechts mit end­gradiger Bewegungseinschränkung und Bewegungsschmerz. Sonografisch be­stätigte sich der ausgeprägte Kniegelenk­erguss.

Zur weiteren Abklärung führte Prof. Becher eine Kniegelenkpunktion durch, bei der 40 ml einer leicht trüben, gelbli­chen Flüssigkeit gewonnen werden konn­te (Abb. 3). Die unmittelbar danach erfolg­te Analyse der Gelenkflüssigkeit (Abb. 4) im Zentrum für Rheumatologie ergab den Nachweis eines entzündlichen Ergusses mit 4.500 Leukozyten pro Mikroliter und somit den Hinweis auf eine entzünd­lich­rheumatische Ursache der Kniegelenkschwellung.

Die weitere rheumatologische Abklärung erbrachte keine richtungsweisenden serologischen Befunde, d. h., die Marker für eine Rheumatoide Arthritis, Rheu­mafaktor und Anti CCP, für eine Spondy­loarthritis, der genetische Marker HLA B27, und Marker für seltene rheumatolo­gische Erkrankungen waren unauffällig. Die genannten Erkrankungen sind des­halb weniger wahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen. Auffällig waren die Ent­zündungswerte, die Blutsenkung betrug 50 mm in der ersten Stunde (Normwert kleiner 20) und der CRP­Wert 35 mg /l (Normwert ≤ 5 mg/l).

Da bei der Patientin etwa vier Wochen vor dem erstmaligen Auftreten der Kniebeschwerden ein grippaler Infekt mit Magen­Darm­Beteiligung bestanden hatte, wurde die Diagnose einer reaktiven Arthritis gestellt. Die reaktive Arthritis gehört zur Erkrankungsgruppe der Spondyloarthitiden.

Es erfolgte eine orale Therapie mit einem Kortisonpräparat (Prednisolon) über etwa sechs Wochen mit sukzessiver Dosis­reduktion sowie eine rheumatologische Basistherapie mit Sulfasalazin. Hierunter verbesserte sich die Symptomatik rasch und war nach 6 Wochen abgeklungen, sodass die Patientin wieder beschwerde­frei Sport treiben konnte. Die Entzündungs­parameter normalisierten sich. Hilfreich war dabei, dass die Patientin Physiothera­peutin ist und durch intensive Physiothe­rapie einschließlich Lymphdrainage den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen konnte. Der weitere Verlauf war erfreulich, nur selten traten noch leichte Beschwer­den auf. So konnte die Therapie mit Sulfa­salazin nach einem Jahr schrittweise re­duziert und nach circa 1,5 Jahren beendet werden. Die Patientin ist weiterhin be­schwerdefrei.

Fazit

Der Fall verdeutlicht die Bedeutung der interdisziplinären Zusammenarbeit von Orthopäden, Unfallchirurgen und Rheu­matologen und die Notwendigkeit einer differenzierten Analyse von Gelenkpunk­ taten bei unklaren Gelenkschwellungen. Auch bei PatientInnen mit bekanntem Kniebinnenschaden und/oder Arthrose – wie bei unserer Patientin – muss ins­ besondere wenn das Ausmaß der Gelenk­schwellung nicht mit den strukturellen Gelenkschäden korreliert oder die An­amnese nicht richtungsweisend ist, dif­ferenzialdiagnostisch an eine rheumatolo­gische Ursache gedacht werden. Durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit können unklare Fälle rascher gelöst und die entsprechende Therapie eingeleitet werden.