November 2022 – Ausgabe 40

Return to Sport nach VKB-Ersatzplastik

Dr. med. Steffen Thier
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Schlüsselwörter: vorderes Kreuzband, VKB-Ruptur, VKB-Ersatzplastik, Rehabilitation, „Return to Sport“-Kriterien

Der Riss des vorderen Kreuzbandes (VKB) zählt mit einer Inzidenz von 46/100.000 zu den häufigsten Sportverletzungen in Deutschland. Insbesondere bei jungen, sportlichen Patientinnen und Patienten wird häufig zu einer VKB-Ersatzplastik geraten (Abb. 1). Durch die operative Therapie sollen Folgeschäden an Menisken und Knorpel reduziert und dadurch die Entstehung einer Arthrose vermieden werden. Über 40.000 durchgeführte VKB-Ersatzplastiken pro Jahr in Deutschland unterstreichen die Relevanz der VKB-Rupturen in der Therapie von Sportverletzungen.

Trotz modernster, minimalinvasiver Operationstechniken ist die „Return to Sport“-Rate für Sportlerinnen und Sportler nach VKB-Ersatzplastik niedrig. Zwei große Übersichtsarbeiten haben gezeigt, dass ca. 82 Prozent der Sport- treibenden nach einer VKB-Ersatzplastik zu irgendeiner Sportart zurückkehren, 63-65 Prozent kehren zu ihrer Sportart vor der Verletzung zurück und nur 44-55 Prozent kehren zum Leistungssport zurück. Im Profisportbereich liegt die „Return to Sport“-Rate mit etwa 85 Prozent wesentlich höher. Die adäquate Rehabilitation scheint also einen sehr großen Einfluss auf das postoperative Ergebnis, die „Return to Sport“-Rate und die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Ruptur des VKB zu haben.

Funktion des VKB

Das VKB besteht aus zwei sog. Bündeln (anteromediales und posterolaterales Bündel), die sich zu verschiedenen Zeitpunkten in der Bewegungsphase des Kniegelenks anspannen bzw. entspannen. Aus biomechanischer Sicht verhindert das VKB ein nach vorne gerichtetes Weggleiten des Unterschenkels gegenüber dem Oberschenkel (sog. „vordere Translation“) und sichert das Kniegelenk gegen Rotationsbelastungen.

Die Ruptur des VKB ereignet sich meist bei leicht gebeugtem Knie (5-30°) mit verstärktem Knievalgus (X-Bein-Stellung) in Kombination mit einer Innen- bzw. Außenrotation des Unterschenkels beim plötzlichen Abbremsen, bei Richtungs- wechseln oder beim Landen aus Sprüngen.

Was ist bei der Rehabilitation zu beachten?

Früher war eine VKB-Ersatzplastik gleichbedeutend mit einem sportlichen Ausfall von etwa 6 Monaten. Hohe Raten an erneuten Rupturen waren die Folge eines zu frühen Wiedereintritts in den Sport. Die modernen Rehabilitationspläne sind jedoch nicht mehr zeitbasiert, sondern kriterienbasiert. Ein Grund hierfür ist die phasenabhängige Einheilung des Kreuzband-Transplantates.

Im Rahmen des Einheilungsprozesses einer VKB-Ersatzplastik kommt es zunächst zu einer Entzündungsreaktion (1. Phase) mit einer anschließenden ischämisch-degenerativen Nekrosephase (2. Phase). Danach durchläuft das Transplantat die Phase der Revaskularisierung (3. Phase) mit unmittelbarer Revitalisierung (4. Phase). In der abschließenden Phase kommt es zu einem stufenweisen Remodeling (5. Phase) mit einer kontinuierlichen Anpassung der Kollagen- struktur des Transplantats. Histologische Studien zeigen, dass der Umbauprozess eines Transplantates mindestens ein Jahr dauert, bevor eine ausreichende strukturelle Reißfestigkeit besteht.

Während des gesamten Umbaus kann die phasenabhängige Umstrukturierung des Transplantats entscheidend durch mechanische Kräfte beeinflusst werden. Daher sollte sich die Rehabilitation immer am Zustand des Kniegelenks orientieren und mit steigender Belastung und Komplexität der Übungen erfolgen. Zeitliche Angaben zu den Behandlungsphasen spielen hierbei eine untergeordnete Rolle und sollten eher als Richtwert angesehen werden. Der Übergang in die nächste Behandlungsphase sollte an Zielkriterien gebunden sein (Tabelle 1). Erst wenn diese erfüllt sind, sollte die nächste Behandlungsphase begonnen werden.

Wann kann ich wieder zum Sport zurück?

Zur Objektivierung des Therapiefortschritts werden Kraft- und Funktionstests empfohlen. Diese sollten jedoch nicht in der Frühphase der Rehabilitation durchgeführt werden. Als Voraussetzung für Funktionstests sollte eine nahezu freie Beweglichkeit des Kniegelenks sowie eine ausreichende Muskelkraft der Beinbeuger und -strecker vorliegen.

Die Muskelkraft kann durch „Isokinetische Krafttests“ bestimmt werden, die zusätzlich zur Berechnung von zwei wichtigen Parametern, dem Hamstring-Quadrizeps- Verhältnis (hamstring-to-quadriceps-ratio (H/Q ratio)) und dem Gliedmaßen- Symmetrieindex (limb-symmetry-index (LSI)) dienen. Das H/Q-Verhältnis ist definiert als das Verhältnis zwischen der Stärke der Beinbeuger (Hamstrings) und der Stärke des Beinstrecker (Quadrizeps) des gleichen Beins bei einer bestimmten sog. Winkelgeschwindigkeit.

Die Messungen sollten immer im Seitenvergleich stattfinden, da biomechanische und neuromuskuläre Asymmetrien zwischen den Gliedmaßen als Risikofaktoren für eine erneute VKB-Verletzung nach Rückkehr zum Sport ermittelt wurden.

Sprungtests umfassen Start und Landung auf der operierten und auf der unverletzten Extremität, die als Referenzwert für die Bewertung von Defiziten dient. Die am häufigsten verwendeten Sprungtests sind in Tabelle 2 zusammengefasst.

In einer sog. Testbatterie werden mehrere Sprungtests mit Tests der Agilität, Beweglichkeit und linearem Sprinten zur Überprüfung der Bewegungsqualität kombiniert. Hiermit werden verschiedene Aspekte der Kniefunktion sowie physiologische und mechanische Eigenschaften des neuromuskulären Systems getestet (Abb. 2).

Man sollte vermeiden, mehr als einen Test in eine Testbatterie aufzunehmen, der dieselbe Fähigkeit prüft. Eine mögliche Ermüdung könnte zu einem Messfehler führen, wenn in einer Sitzung mehrere unterschiedliche Fähigkeiten getestet werden. Es wird empfohlen, nicht mehr als vier bis fünf Tests zu verwenden.

Lauf- und Beweglichkeitstests (z. B. linearer 30-m-Sprint, T-Test-Shuttle-Lauf, der Carioca-Test) können als Indikator für Defizite bei der Kraft, der mechanischen und/oder der funktionellen Laufstabilität angesehen werden.

Eine Testbatterie sollte auf die jeweilige sportliche Anforderung abgestimmt sein und insbesondere mögliche Schwächen der/des Athletin/Athleten berücksichtigen.

Fazit

Viele Sporttreibende möchten schon ca. 6-8 Monate nach VKB-Plastik zum Wettkampfsport zurückkehren.

In diesem Fall muss das Kniegelenk auf neuromuskulärer Ebene optimal vorbereitet sein, damit das zu diesem Zeitpunkt noch vulnerable Transplantat optimal geschützt ist. Bestehen bei der Rückkehr zum Sport noch Defizite, zeigen die wissenschaftlichen Daten, dass ein deutlich erhöhtes Risiko für eine erneute VKB-Ruptur besteht.

Die Entscheidung, wann der „Return to Sport“ möglich ist, sollte anhand funktioneller Tests zur passiven und funktionellen Stabilität, Beweglichkeit sowie Kraft und Beinachsensymmetrie getroffen werden. Auch psychosoziale Faktoren wie Unschlüssigkeit, mangelndes Vertrauen und Angst vor erneuter Verletzung können einen Einfluss auf die Kniefunktion haben und sollten ebenfalls therapiert werden. Folglich sollte die Entscheidung multidisziplinär unter Einbeziehung des/der Operateurs/in, des/der Physiotherapeuten/in und des/der Sport- wissenschaftlers/in erfolgen.