November 2022 – Ausgabe 40

Postoperative Rehabilitation nach Skiunfällen – ein funktionsbasierter Ansatz am Beispiel von Knieverletzungen

Marc Lechler

Wolfram Dautz

Schlüsselwörter: Knie, Skiverletzungen, Rehabilitation, RTA, funktionsbasierte Therapie

Skifahren – das bedeutet für die meisten Abenteuer, frische Luft, viel Bewegung und Spaß. Aber der Spaß ist schnell zu Ende, wenn man sich dabei verletzt. Ist eine operative Versorgung der Verletzung nötig, muss sich daran unbedingt eine qualifizierte Rehabilitation anschließen, wenn es das Ziel ist, wieder auf den Skiern zu stehen. Am Beispiel von Knieverletzungen zeigt dieser Beitrag, wie eine erfolgreiche Reha aussehen kann.

Das Knie ist die häufigste Verletzungsregion bei Skifahrern und Skifahrerinnen, schreibt die Verantwortliche der „Stiftung Sicherheit im Skisport“ des Deutschen Ski-Verbandes (DSV). Ein Drittel aller Verletzungen betreffen das Knie – gefolgt von der Schulter (21,4 %) und dem Rumpf (8,8 %) (Abb. 1) [1]. Alarmierend ist, dass der Anteil der Frauen, die sich am Knie verletzen, über 50 Prozent liegt.

Als Grund für die anhaltende Verletzungsmisere nennt die „Auswertungsstelle für Skiunfälle“ (ASU) zu hohe Geschwindigkeiten, schlechte Ausrüstung, mangelnde Fitness und klassische und chronische Selbstüberschätzung. Aufgrund der größeren Verletzungsschwere am Knie und deren Folgen müsse festgestellt werden, dass „dringender Handlungsbedarf für bessere und erfolgreichere Präventionsmaßnahmen“ bestehe (DSV).

Ist das Schlimmste aber geschehen und eine Operation wurde notwendig, muss hinterher eine konsequente Rehabilitation erfolgen.

Balastungsnormative

Viel zu oft unterliegen Skifahrer und Skifahrerinnen dem Trugschluss, dass es sich „nur“ um Skifahren handelt und dass dies kaum eine Belastung für die Knie sei, da sie schließlich schon ein Leben lang fahren. Sie bedenken auch nicht die zusätzliche Belastung durch die Höhenverhältnisse in den Bergen und das Material (etwa bei Carving-Ski). Die wenigsten bereiten sich ab dem Sommer konsequent auf den Winter vor, egal, ob präventiv oder in der Rehabilitation.

Viele Operateure, Therapeuten und Patienten haben zudem eine falsche Vorstellung von den Belastungsnormativen bzw. den Kräften, die auch bei Freizeitabfahrten wirken. Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass, abhängig von der Geschwindigkeit, der Härte der Piste, dem Gefälle und weiteren Faktoren, teil- weise Fliehkräfte von bis zu 14 G im Spitzensport, etwas weniger im Freizeitsport, vorherrschen. Im Falle einer 80 kg schweren Person bedeutet dies, dass eine Fliehkraft von 1120 kg auf den Körper einwirkt [2]. Zudem setzt der alpine Skisport neben den enormen Kraftfähigkeiten eine hohe Beweglichkeit, Ausdauer, Koordination sowie Schnelligkeits- und Reaktionsfähigkeit voraus. All diese motorischen Grundfähigkeiten müssen im Laufe einer Rehabilitationsphase abgehandelt und wieder auf ein Niveau von 100 Prozent angehoben werden.

Anamnese

Bei der Rehabilitation müssen verschiedene Faktoren berücksichtigt werden. Neben den klassischen Faktoren wie angewandte OP-Techniken, Schwellungszeichen, Beweglichkeit, Alltagsbelastbarkeit und Wundheilung, um nur einige zu nennen, sollte man gerade bei Skiverletzungen darauf achten, welchen Einfluss die Verletzung auf die Psyche hat. Obwohl es sich bei über 80 Prozent der Verletzungen um unspektakuläre selbstverschuldete Unfälle handelt und nur bei ca. 15 Prozent um Kollisionen, ist dennoch jedes Trauma individuell unterschiedlich und kann nicht pauschalisiert therapiert werden.

Deshalb sollte schon im Befund darauf geachtet und abgefragt werden, welche Ziele sich die Patienten und Patientinnen zu welchem Zeitpunkt setzen und welche Ziele realistisch, denkbar oder auch kaum erreichbar sind (shared decision making – ICF). Hier sollte darauf eingegangen werden, welchen Ansprüchen der Körper beim Skisport unterliegt, um nicht Gefahr zu laufen, dass die Patientinnen und Patienten enttäuscht sind, wenn es im nächsten Winter nicht mit dem Skifahren klappt.

Mit der Anamnese muss die langfristige Trainingssteuerung beginnen, mit dem klaren Anspruch, dass es sich hierbei, bildlich gesprochen, um einen Marathon und nicht um einen Sprint handelt.

Das Training sollte im besten Falle bis zur Rückkehr in den Sport therapeutisch begleitet werden. Denn nicht die Zeit alleine entscheidet [5], wann Patientinnen und Patienten zum Sport zurückkehren dürfen, vielmehr muss darauf geachtet werden, dass die Funktion wieder zu 100 Prozent hergestellt ist. Dazu zählt auch die Psyche der Patientinnen und Patienten [3].

Progressionsreihen: Exemplarische Übungen für das Phasenmodell

1. Dorsale Kette

2. Quadrizeps

3. Koordination

Therapie – Phasenmodell

Nach anfänglicher klassischer Physiotherapie zur Schwellungsreduktion, Entstauung und Beweglichkeitsverbesserung des Gelenks sollte schnellstmöglich mit einer methodisch aufgebauten Trainingstherapie begonnen werden. Seit jeher ist es die Suche nach dem heiligen Gral, zu entscheiden, wann welche Übung gemacht werden kann. Keine Verletzung entspricht zu 100 Prozent einer anderen, sie gleichen einander, aber sind doch immer etwas unterschiedlich. Gerade im Hinblick auf die unterschiedlichen Charaktere der Patientinnen und Patienten und auch der Therapeutinnen und Therapeuten ist nicht jede Übung sofort vermittelbar. Die Ziele sind oft die gleichen (z. B. Beweglichkeit, Aktivierung der Kennmuskulatur), doch der Weg dahin ist fast immer unterschiedlich.

Deshalb möchten wir an dieser Stelle einen Rahmenplan vorstellen, an dem wir uns in der ECOS Reha als Leitfaden orientieren. Wichtig ist, nach jeder Phase ein Ziel zu definieren, welches durch einen Test abgefragt wird. Je nach Möglichkeit der Institution kann dieser Test mit apparativer Hilfe oder mit einfacheren Mitteln absolviert werden. Zur Orientierung gibt es sehr gute Screenings und Manuals des OS-Instituts oder der VBG (Testmanual zur Beurteilung der Spielfähigkeit nach Ruptur des vorderen Kreuzbands) [3].

Unter der Prämisse, dass auch alle Wundheilungsphasen durchlaufen sind, sollte erst nach einem positiv absolvierten Test funktionsbasiert das „Vorrücken in die nächste Phase“ erfolgen, bis schluss- endlich ein bestandener Abschlusstest die volle Sportfähigkeit wieder erlaubt (Tabelle 1).

Bei dem hier gezeigten Modell handelt es sich ausdrücklich um einen Rahmenplan. Es ist uns klar, dass diese Übungen auch in anderen Phasen schon möglich sind und es eine Vielzahl von anderen Möglichkeiten gibt. Für uns ist das Ziel, die Übungen mit gewissen Parametern (Schmerzfreiheit, Wiederholungszahlen, Sätzen usw.) in diesen Phasen zu absolvieren. Sollte eine Übung nicht schmerzfrei über den gesamten Bewegungsumfang oder muskulär funktionieren, ist ein Vorrücken in die nächste Phase nicht
zu empfehlen.

Fazit

Es gibt keine „one size fits all“-Therapie bzw. keinen Belastungsaufbau, der für alle gleich ist. Leider wird viel zu oft die klassische Trainingslehre ignoriert und damit werden die gültigen Trainingsprinzipien, unter anderem das Prinzip des trainingswirksamen Reizes, vergessen.

Ein Hauptbestandteil der Therapie besteht nicht nur in der Auswahl der richtigen Übungen, sondern vielmehr auch im klassischen Programmieren der Trainingseinheiten (Langzeittherapie). Im Sport sprechen wir von Periodisierung, in der Therapie leitet uns das Phasenmodell. Deshalb ist die Basis für die Rückkehr in den Sport ein regelmäßiges methodisches Trainieren – klar abzugrenzen von „man geht üben“ –, d. h. progressive Belastungssteigerung, adäquates Belasten, Pausengestaltung zur Auslenkung der Homöostase mit einer Häufigkeit von zwei bis drei Trainingseinheiten die Woche. Jede einzelne Einheit muss zielgerichtet und geplant sein und darf nicht nach einem anfänglich erstellten Plan, zehn Einheiten die gleichen Normative, abgearbeitet werden. Genauso wichtig ist die Steuerung der Pausen und das Beachten des täglichen Befundes [4]. Wir müssen uns als Therapeuten und Therapeutinnen daran messen lassen, die planmäßigen Ziele zu erreichen und diese durch Testsettings zu bestätigen.