November 2022 – Ausgabe 40
Interview mit Max Rauffer: Sportverletzungen als Skiprofi – meine Erfahrungen
Max Rauffer
Max Rauffer, Jahrgang 1972, war ein sehr erfolgreicher Skirennläufer:
Von 1991 bis 2005 war er Mitglied der Deutschen Ski-Nationalmannschaft, wurde fünfmal Deutscher Meister im Super-G und in der Abfahrt, 2004 konnte er im Ski-Weltcup das Abfahrtsrennen von Gröden gewinnen. Er war damit der erste deutsche Sieger einer Weltcup-Abfahrt nach 13 Jahren und erst der vierte Deutsche überhaupt, dem ein Sieg bei einer Weltcup- Abfahrt gelang. Einige Monate nach seinem größten Erfolg beendete Max Rauffer 2005 seine Karriere im Hochleistungssport.
Max Rauffer beim WorldCup in Chamonix 2005; Foto: Max Rauffer
ATOS News befragte Max Rauffer zu seinen Erfahrungen mit Verletzungen, zur medizinischen Versorgung von Profiskiläufern und zu Präventionsmöglichkeiten.
Max Rauffer, Sie haben selbst eine ganze Reihe von Verletzungen erlitten. Von der Schulter über die Wirbelsäule bis zu Knie und Sprunggelenk waren viele Körperregionen betroffen. Was haben Sie empfunden, wenn Sie durch eine Verletzung wieder aus dem Wettkampfgeschehen aussteigen mussten?
Die Verletzungen ereigneten sich meistens bei einem Sturz – neben dem Schmerz war die Enttäuschung am schlimmsten: Man hatte viel Training, Zeit und Energie investiert, dann gab es durch die Verletzung wieder einen Rückschlag.
Jede Verletzung musste auch verarbeitet werden: zum einen durch die medizinische Behandlung, aber auch psychisch. Dies gelingt mithilfe von Psychologen und einem Mentalcoach. Denn schwere Verletzungen gehen mit einschneidenden Erlebnissen einher, wie z. B. starken Schmerzen und Operationen, und verursachen ein mentales Trauma. Die Unbeschwertheit auf den Skiern ist dann erst einmal weg.
Gehen Abfahrt und Super-G als Tempodisziplinen mit einem besonders hohen Verletzungsrisiko einher? Gibt es noch andere spezielle Risikofaktoren?
Generell geht mit größerer Geschwindigkeit beim Skifahren eine erhöhte Sturzgefahr einher, und auch die Folgen eines Sturzes werden bei hohem Tempo schwerer. Weitere Faktoren können Materialversagen oder Fehlauslösung der Skibindung sein, aber auch äußere Gegebenheiten wie Licht-/ Schattenwechsel oder Windböen. Nicht vollständig ausgeheilte Verletzungen oder nach vorherigen Verletzungen verbliebene Schwachstellen können ebenfalls Risikofaktoren für neue Stürze sein. Als Athlet hat man ja nur eine begrenzte Zeit, in der man seine Spitzenleistung erbringen kann, da fehlt manchmal die Geduld, um eine Verletzung komplett heilen zu lassen. Hinzu kommen die mentalen Faktoren: Im Wettkampf geht jeder Skifahrer ein höheres Risiko ein als im Training – daher passieren im Training etwas weniger schwere Verletzungen.
Gibt es einen typischen Unfallmechanismus beim Alpinskisport oder ist jeder Unfall anders?
Ganz häufig ist die Geschwindigkeit zu hoch, man ist zu viel Risiko eingegangen und kann dem Druck nicht mehr standhalten, wenn z. B. der Radius enger wird oder Sprünge zu weit gehen. Aber die Unfälle unterscheiden sich schon – denn jede Kurve, jede Abfahrt, jedes Rennen ist anders. Hinzu kommt beim Wintersport Skifahren, dass draußen jeden Tag andere Verhältnisse herrschen.
Was war bei der Versorgung Ihrer Verletzungen das Wichtigste?
Zunächst braucht es eine professionelle Erstversorgung, dann eine sehr gute und exakte Diagnose. Der bestmögliche Chirurg, der den Sportler dann zügig operiert, ist dann schon die halbe Miete. Eine besonders große Rolle spielt aber auch eine qualifizierte Rehabilitation.
Wird im Skirennlauf anders versorgt, z. B. operativ, als beim Hobbyskifahren?
Der größte Unterschied ist vermutlich die Schnelligkeit der Versorgung: Als ich an einem Samstag einen Kreuzbandriss erlitten hatte, wurde ich am Sonntagmorgen schon operiert. Auch die Transplantatwahl kann sich unterscheiden:
So wird beim Kreuzbandersatz bei Leistungssportlern eher die Quadrizepssehne verwendet, bei Hobbysportlern eher die Grazilis- oder Semitendinosussehne.
Der zweite wichtige Unterschied ist die sehr intensive Rehabilitation, was bei Profisportlern 8-10 Stunden schweißtreibende Arbeit pro Tag bedeutet.
Wie lange dauerten die Wettkampf- und Trainingspausen bei Ihren Verletzungen?
Nach Kreuzbandverletzungen mit Allograft-Rekonstruktion ist mit etwa 8 Monaten zu rechnen, bis man wieder Wettkämpfe bestreiten kann. Auch nach meiner HWS- Fraktur dauerte es 8 Monate. Zuerst kommt die Reha, dann die allmähliche Steigerung der Belastung und nach etwa 6 Monaten konnte ich wieder mit der Mannschaft trainieren.
Welche Rolle spielt die Rehabilitation nach Skiverletzungen?
Die Reha spielt eine herausragende Rolle! Nach der ersten Phase, wo es um die Heilung der OP-Wunde und um die Abschwellung geht, beginnt sobald wie möglich ein gezieltes Muskelaufbautraining, gefolgt von zielorientiertem Training, z. T. mit einem Reha-Trainer. Als letzter Schritt erfolgt der Übergang zurück zum Heimtrainer. Damit das alles reibungslos klappt, ist eine gezielte Kommunikation aller Beteiligten sehr wichtig.
Frühzeitig werden auch Bausteine für Koordination und Geschicklichkeit in die Reha integriert; in dieser Phase kann man auch – falls vorhanden – vorbestehende Schwächen in der Muskelkraft ausgleichen. Außerdem wird die Reha-Zeit für mentales Training genutzt, dazu gehören die Verarbeitung des Unfalltraumas und die mentale Regeneration ebenso wie die Verbesserung der Konzentrationsfähigkeit. In der Reha wird hart gearbeitet – das ist mehr Arbeit als im normalen Training!
Was hat sich aus Ihrer Sicht in den Jahren seit Ihrem Rücktritt aus dem Skirennsport im Umgang mit Verletzungen verändert?
Das Verletzungsrisiko ist im alpinen Skirennsport leider gleich hoch geblieben. Verbessert hat sich jedoch die Kommunikation zwischen Operateuren, Mannschaftsärzten, Rehatrainern, Heimtrainern und Betreuerstab, z. B. über die DSV- Plattform. Die Trainingsmethoden sind heute z. T. noch professioneller und ausgefeilter als früher.
Sie arbeiten jetzt bei einem Medizintechnik-Hersteller. Wie schätzen Sie den technischen Fortschritt in der Versorgung von Verletzungen in den vergangenen 15 Jahren ein?
Die Medizintechnik ist eine sehr innovative Branche; der Fortschritt ist beträchtlich: OP-Techniken wurden verbessert, Produkte angepasst. Das Verständnis für die biologischen Abläufe ist gewachsen, bei den OPs werden regenerative Verfahren wie Wachstumsfaktoren oder Eigenbluttherapie eingesetzt.
Was würden Sie Hobbyskifahrerinnen und -fahrern raten, um das Verletzungsrisiko zu verringern?
Ein alter, aber unverändert gültiger Spruch lautet: „Der gute Skifahrer wird im Sommer gemacht!“ Eine gründliche, langfristige Vorbereitung ist die beste Verletzungsprävention, gefolgt von gründlichem Aufwärmen für 5-10 Minuten vor der ersten Abfahrt. Kritisch ist auch immer die letzte Abfahrt, wenn die Ermüdung eingesetzt hat – also eher eine Runde früher aufhören als zu spät.
Wenn Sie rückblickend auf Ihre Zeit als Skiprofi schauen – was hat es Ihnen bedeutet?
Ich hatte eine unglaublich schöne Zeit, in der ich viel gelernt habe über mich selbst, z. B. über den Umgang mit Druck. Ich empfehle allen Jugendlichen, die Talent haben, Leistungssport zu betreiben. Meinen größten Erfolg, den Weltcup-Sieg, hatte ich erst relativ spät und habe dann bald darauf entschieden, meine Karriere zu beenden. Trotz der vielen Verletzungen habe ich heute keine großen Einschränkungen, kann vier- bis fünfmal pro Woche Sport treiben. Daher denke ich völlig positiv an die aktive Zeit zurück!