Mai 2022 – Ausgabe 39

Schulterverletzungen im Handball

Dr. Med. Andreas Klonz
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Dr. med. Benjamin Weinkauf
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Handball ist eine extrem dynamische Sportart, die insbesondere in den europäischen Ländern sehr populär ist. Handball ist ein Wurf- und ein Kontaktsport, bei dem der Gegner versucht, die zielführende Bewegung zu stören oder zu unterbrechen. Die unbehinderte Ausführung einer ohnehin schon sehr komplexen Wurf- und Sprungbewegung ist eher die Ausnahme als die Regel. Handball ist deshalb ein verletzungsträchtiger Sport. Hinzu kommen Überlastungssymptome oder -schäden durch zu hohe, zu häufige oder falsche Belastung.

Wie in anderen Sportarten haben die Trainingsumfänge im Leistungsbereich deutlich zugenommen, damit auch die Geschwindigkeiten der Bewegungs­abläufe, der Beschleunigungen und Wechselbelastungen. Verletzungen betreffen am häufigsten das Sprunggelenk, das Kniegelenk, die Finger und das Schultergelenk. Überlastungsprobleme betreffen vor allem die Schulter und die Wirbelsäule.

Trauma oder Überlastung?

Anamnestisch ist es zunächst wichtig, zwischen traumatischer Genese und Überlastungsproblematik zu differenzieren. Beim Sportler sind weitere spezielle Infor­mationen zu erheben. Ist der Wurfarm oder die Gegenseite betroffen und auf welcher Position spielt der Patient? Wie stark ist resultierend die Beeinträchtigung, und ist der Spieler aktuell trainings­- oder wettkampffähig? Wie sieht die weitere Saison­ und Karriereplanung aus. Nicht zuletzt: Handelt es sich um eine berufs­genossenschaftlich versicherte Situation?

Akute Verletzungen der Handballerschulter

Sie betreffen sowohl die Wurfarmschulter als auch die Gegenseite. Unfallmecha­nismus ist sehr häufig der direkte Anprall durch Sturz auf die Schulter bei angeleg­tem Arm, der typischerweise zur Verlet­zung des AC­Gelenkes führt.

Luxationen betreffen nach unserer Erfah­rung häufiger die Nichtwurfarmschulter und entstehen bei Abwehraktionen, wenn der Spieler versucht, den Wurfarm des Gegners in maximal angehobener Position (Hyperflexion) festzuhalten.

Verletzungen der Wurfarmschulter ent­stehen durch das „in den Arm fassen“ des Abwehrspielers bei der Wurfausführung. Dies ist umso gefährlicher, je mehr es von hinten geschieht, da der Werfer die Gefahr nicht sieht und antizipieren kann. Am Anfang der Wurfbewegung ist der Arm zudem in maximaler Außenrotation und seine eigenen muskulären Stabili satoren in entsprechend ungünstiger Position (Abb. 1). Durch den langen Hebel wirken extreme Kräfte am Schultergelenk, die insbesondere zu Verletzungen der vorderen Kapsel, der Gelenklippe und des Knorpels führen können. Zur kompletten Luxation kommt es hier eher selten, da der Werfer meist letztlich doch den eigenen Armzug nachlässt. Dann stürzt er aber meist aus größerer Höhe nach hinten, was zu gefährlichen Wirbelsäulen-­ oder Kopfverletzungen führen kann.

Kommt es später in der Wurfbewegung zum Kontakt des Abwehrspielers gegen den Wurfarm, geschieht dies eher von vorne und ist nicht ganz so gefährlich. Der Wurfarm wird in dieser Situation in extre­mer Beschleunigung plötzlich gebremst. Dadurch kommt es zu einer exzentrischen Belastung der Rotatorenmanschette, die zu Läsionen der Supraspinatussehne (Abb. 2) oder – je nach Armposition – auch der Subscapularissehne führen kann.

Das „in den Arm fassen“ gilt als grobe Unsportlichkeit und führt zum Ausschluss des Abwehrspielers.

Häufige akute Verletzungen der Handballerschulter sind:

  • AC­Gelenksläsionen
  • Vordere Labrum­/Knorpelläsionen
  • Luxationen
  • Rotatorenmanschettenläsionen

Behandlung der akuten Verletzungen

AC-Gelenksläsion
Diagnostik und Therapie entsprechen der aktuellen Empfehlung für junge Menschen, die keinen Wurfsport ausführen. Es gibt wissenschaftlich keinen Hinweis, dass beim Wurfsportler andere Maßstäbe an­zulegen wären. Zu bedenken ist, dass eine operative Behandlung mit einer erhebli­chen Ausfallzeit verbunden ist. Im eigenen Vorgehen behandeln wir ACG­Instabi­litäten Grad Rockwood 1 und 2 konservativ und Rockwood 5 operativ. Verletzungen Rockwood 3 unterscheiden wir klinisch und radiologisch (Alexanderaufnahme) hinsichtlich der horizontalen Instabilität und würden bei deutlicher Ausprägung eher zum operativen Vorgehen beraten. Die Rückkehr zum Kontaktsport erlauben wir dann vier Monate postoperativ.

Traumatische vordere Labrum-/Knorpelläsionen
Diese werden am Wurfarm sehr schlecht toleriert. Die Ausprägung der Läsion lässt sich nur im (invasiven) ArthroMRT beurteilen und ist auch dann bildmorphologisch nicht immer sicher einzuschätzen. Inso­fern veranlassen wir diese Untersuchung erst im Intervall von mehreren Wochen, wenn entsprechende Beschwerden per­sistieren und empfehlen dann ggf. eine arthroskopische Labrumrefixation (Abb. 3). Kleinere Knorpeldefekte am Pfannen­rand können dabei mit Labrumgewebe gedeckt werden. Eine zu starke Raffung der vorderen Kapsel muss vermieden werden. Die Rückkehr zum Kontaktsport geben wir nach OP nach vier Monaten frei.

Schulterluxation
Luxationen sind in einem Kontaktsport wie Handball mit einer nahezu einhundert­ prozentigen Rezidivwahrscheinlichkeit verbunden. Die Indikation zur operativen Stabilisierung ist entsprechend sowohl an der Wurfarm­ als auch an der häufig be­troffenen Nichtwurfarmschulter großzügig zu stellen. Wir bevorzugen in dieser Situa­tion eine anatomische arthroskopische Rekonstruktion, soweit keine chronische Situation mit knöchernem Defekt vorliegt. Die Rückkehr zum Kontaktsport geben wir hier frühestens nach sechs Monaten und guter funktioneller Rehabilitation frei.

Traumatische Rotatorenmanschettenruptur
Im Fall der akuten und unfallbedingten Ruptur einer der Sehnen der Rotatoren­manschette empfehlen wir beim jungen Menschen die arthroskopische Refixation der Sehne. Ein konservativer Behandlungs­versuch macht hier aus unserer Sicht kei­nen Sinn. Der Leidensweg würde dadurch unnötig verlängert und die Möglichkeiten einer spannungsfreien und anatomischen Rekonstruktion würden kompromittiert. Die Rückkehr zum Kontaktsport hängt von der Größe der Ruptur ab, ist aber auch bei kleinen Rissen nicht vor sechs Monaten sinnvoll. Bei größeren Rissen muss man mit einer Rehabilitation von neun bis zwölf Monaten rechnen. Meist ist der Wurfarm betroffen. Eine Rückkehr zum alten Leis­tungsniveau ist in diesem Fall unsicher.

Schulterschmerzen durch Überlastungsprobleme und -schäden

Sie werden gerne unter dem Begriff „Werferschulter“ subsummiert und betref­fen in ähnlicher Weise auch zum Beispiel Speerwerfer, Volleyballspieler oder Tennis-­ und Badmintonspieler. Die wohl am besten wissenschaftlich untersuchten Sportler sind die Baseballspieler, zum einen auf­grund der Menge an Probanden, aber auch wegen des sehr gut definierten und reproduzierbaren Bewegungsablaufes. Für Handball gibt es keine entsprechende Datenlage. Im Gegensatz zum Wurf beim Baseball oder Speerwurf ist die Wurfbe­wegung des Handballers von Situation zu Situation und Spielposition zu Spielposition unterschiedlich. Trotzdem lassen sich viele Überlegungen transportieren.

Die Wurfgeschwindigkeit wird bestimmt durch den Weg und die Beschleunigung der Hand, also durch Bewegung des Handgelenkes, des Ellenbogens, des Glenohumeralgelenkes, des Schulterblat­tes und des gesamten Torsos. In jedem Glied der Kette können Probleme auftreten. Ein verminderter Beitrag eines Gliedes muss durch vermehrten Beitrag anderer Glieder kompensiert werden und kann dort zu Überlastung führen. Besonders anfällig dafür ist das glenohumerale Gelenk, weil es bei der Wurfausübung ohnehin an der Grenze des Möglichen belastet wird und verhältnismäßig emp­findlich ist. Durch jahrelanges Training kommt es initial zu Anpassungsvorgängen. Die Beweglichkeit des Gelenkes wird in Richtung der Ausholbewegung in Rück­führung und vor allem in Außenrotation vergrößert. Die vordere Kapsel erweitert sich. Die hintere Kapsel dagegen verdickt sich und wird enger. Die Gesamtbeweg­lichkeit der Schulter verringert sich und verschiebt sich in Richtung Außenrotation. Die vordere, beschleunigende Muskulatur wird im Vergleich zur hinteren, bremsenden und kontrollierenden Muskulatur stärker; es kommt zu einer Dysbalance. In der extremen Ausholposition stößt der Ansatz der Supraspinatussehne am oberen Pfannenrand und dem dort befindlichen Ursprung der Bizepssehne an (sog. post­ erosuperiores Impingement, PSI). In der Folge kommt es zu immer wiederkehren­den Mikroverletzungen, die mehr oder weniger symptomatisch werden können.

Häufige chronische Läsionen der Handballerschulter:

  • Läsionen des Bizepsankers (SLAP­Läsion)
  • Intraartikuläre Teilläsionen der Supra­spinatussehne (SSP) bis zur Komplett­ruptur (Abb. 2 und 4)
  • Zystenbildung am Ansatz der SSP am Tuberkulum
  • Erweiterung des vorderen Kapsel­bandapparates und Knorpel­/Labrum­läsionen mit subtiler Schulterinstabilität
  • Läsionen, Reizungen und Instabilitäten der langen Bizepssehne

Die Behandlung von Überlastungsschäden der Handballerschulter

Die Behandlung ist primär eine Domäne der konservativen Therapie. Je nach Ausprägung wird zunächst der akute Reiz­zustand durch Pause und antiphlogistische Maßnahmen zum Abklingen gebracht. Mittelfristig und langfristig werden die o. g. statt gehabten Anpassungsvorgänge ad­ressiert. Die dorsale Kapsel wird gedehnt.

Die Dysbalance zwischen der beschleuni­genden vorderen und der kontrollierenden hinteren Muskulatur sollte ausgeglichen werden. Skapulaführung und -­kontrolle werden trainiert. Der Beitrag der Wurf­beschleunigung über die Rumpfrotation sollte zur Entlastung der glenohumeralen Strukturen verbessert werden.

Bei ungenügendem Erfolg dieser Maß­nahmen über mindestens 6 Monate ist ein operatives Vorgehen zu diskutieren.

Das eigene operative Vorgehen wird entscheidend davon beeinflusst, inwieweit eine Instabilität vorliegt. Bei positiver Apprehension, positivem Relocationtest und evtl. assoziierter allgemeiner Laxizität erscheint eine Rekonstruktion und/oder dosierte Raffung der vorderen Kapsel und ggf. (bei jungen Sportlern) eine Refixation der Bizepssehne (SLAP­Repair) sinn­voll. Besteht keine relevante Instabilität, empfehlen wir bei entsprechendem Befund auch bei jüngeren Spielern eher die Tenotomie und Tenodese der langen Bizepssehne. Eine Refixation der Supra­spinatussehne erfolgt bei ausgedehnten Teilläsionen, die mehr als 50 % des Sehnenquerschnittes betreffen.

Zur Einschätzung der Erfolgsaussichten derartiger Operationen gibt es kaum wissenschaftliche Daten. Untersuchungen im Baseball geben Hinweis, dass der Return to Sport (RTS) nicht sicher vorher­ gesagt werden und über ein Jahr in Anspruch nehmen kann. Das Wiederer­langen derselben Wurfqualität erscheint eher selten. Etwa ein Drittel der operierten Baseballspieler schafft es nicht zurück.

Eigene Erfahrungen im Handballsport zeichnen hier ein etwas positiveres Bild. Zum Erfolg des Handballers tragen glück­licherweise nicht nur die Wurfgeschwin­digkeit, sondern viele weitere Qualitäten bei. Für den langfristigen Behandlungs­erfolg bleiben die oben beschriebenen Übungsbehandlungen eminent wichtig. Zunehmend wird anerkannt, dass ein frühzeitiges prophylaktisches Training schon im Jugendbereich hilft, Überlas­tungen und Schädigungen des Schul­tergelenkes vorzubeugen.