Mai 2022 – Ausgabe 39
Schulterverletzungen im Handball
Handball ist eine extrem dynamische Sportart, die insbesondere in den europäischen Ländern sehr populär ist. Handball ist ein Wurf- und ein Kontaktsport, bei dem der Gegner versucht, die zielführende Bewegung zu stören oder zu unterbrechen. Die unbehinderte Ausführung einer ohnehin schon sehr komplexen Wurf- und Sprungbewegung ist eher die Ausnahme als die Regel. Handball ist deshalb ein verletzungsträchtiger Sport. Hinzu kommen Überlastungssymptome oder -schäden durch zu hohe, zu häufige oder falsche Belastung.
Wie in anderen Sportarten haben die Trainingsumfänge im Leistungsbereich deutlich zugenommen, damit auch die Geschwindigkeiten der Bewegungsabläufe, der Beschleunigungen und Wechselbelastungen. Verletzungen betreffen am häufigsten das Sprunggelenk, das Kniegelenk, die Finger und das Schultergelenk. Überlastungsprobleme betreffen vor allem die Schulter und die Wirbelsäule.
Trauma oder Überlastung?
Anamnestisch ist es zunächst wichtig, zwischen traumatischer Genese und Überlastungsproblematik zu differenzieren. Beim Sportler sind weitere spezielle Informationen zu erheben. Ist der Wurfarm oder die Gegenseite betroffen und auf welcher Position spielt der Patient? Wie stark ist resultierend die Beeinträchtigung, und ist der Spieler aktuell trainings- oder wettkampffähig? Wie sieht die weitere Saison und Karriereplanung aus. Nicht zuletzt: Handelt es sich um eine berufsgenossenschaftlich versicherte Situation?
Akute Verletzungen der Handballerschulter
Sie betreffen sowohl die Wurfarmschulter als auch die Gegenseite. Unfallmechanismus ist sehr häufig der direkte Anprall durch Sturz auf die Schulter bei angelegtem Arm, der typischerweise zur Verletzung des ACGelenkes führt.
Luxationen betreffen nach unserer Erfahrung häufiger die Nichtwurfarmschulter und entstehen bei Abwehraktionen, wenn der Spieler versucht, den Wurfarm des Gegners in maximal angehobener Position (Hyperflexion) festzuhalten.
Verletzungen der Wurfarmschulter entstehen durch das „in den Arm fassen“ des Abwehrspielers bei der Wurfausführung. Dies ist umso gefährlicher, je mehr es von hinten geschieht, da der Werfer die Gefahr nicht sieht und antizipieren kann. Am Anfang der Wurfbewegung ist der Arm zudem in maximaler Außenrotation und seine eigenen muskulären Stabili satoren in entsprechend ungünstiger Position (Abb. 1). Durch den langen Hebel wirken extreme Kräfte am Schultergelenk, die insbesondere zu Verletzungen der vorderen Kapsel, der Gelenklippe und des Knorpels führen können. Zur kompletten Luxation kommt es hier eher selten, da der Werfer meist letztlich doch den eigenen Armzug nachlässt. Dann stürzt er aber meist aus größerer Höhe nach hinten, was zu gefährlichen Wirbelsäulen- oder Kopfverletzungen führen kann.
Kommt es später in der Wurfbewegung zum Kontakt des Abwehrspielers gegen den Wurfarm, geschieht dies eher von vorne und ist nicht ganz so gefährlich. Der Wurfarm wird in dieser Situation in extremer Beschleunigung plötzlich gebremst. Dadurch kommt es zu einer exzentrischen Belastung der Rotatorenmanschette, die zu Läsionen der Supraspinatussehne (Abb. 2) oder – je nach Armposition – auch der Subscapularissehne führen kann.
Das „in den Arm fassen“ gilt als grobe Unsportlichkeit und führt zum Ausschluss des Abwehrspielers.
Häufige akute Verletzungen der Handballerschulter sind:
- ACGelenksläsionen
- Vordere Labrum/Knorpelläsionen
- Luxationen
- Rotatorenmanschettenläsionen
Behandlung der akuten Verletzungen
AC-Gelenksläsion
Diagnostik und Therapie entsprechen der aktuellen Empfehlung für junge Menschen, die keinen Wurfsport ausführen. Es gibt wissenschaftlich keinen Hinweis, dass beim Wurfsportler andere Maßstäbe anzulegen wären. Zu bedenken ist, dass eine operative Behandlung mit einer erheblichen Ausfallzeit verbunden ist. Im eigenen Vorgehen behandeln wir ACGInstabilitäten Grad Rockwood 1 und 2 konservativ und Rockwood 5 operativ. Verletzungen Rockwood 3 unterscheiden wir klinisch und radiologisch (Alexanderaufnahme) hinsichtlich der horizontalen Instabilität und würden bei deutlicher Ausprägung eher zum operativen Vorgehen beraten. Die Rückkehr zum Kontaktsport erlauben wir dann vier Monate postoperativ.
Traumatische vordere Labrum-/Knorpelläsionen
Diese werden am Wurfarm sehr schlecht toleriert. Die Ausprägung der Läsion lässt sich nur im (invasiven) ArthroMRT beurteilen und ist auch dann bildmorphologisch nicht immer sicher einzuschätzen. Insofern veranlassen wir diese Untersuchung erst im Intervall von mehreren Wochen, wenn entsprechende Beschwerden persistieren und empfehlen dann ggf. eine arthroskopische Labrumrefixation (Abb. 3). Kleinere Knorpeldefekte am Pfannenrand können dabei mit Labrumgewebe gedeckt werden. Eine zu starke Raffung der vorderen Kapsel muss vermieden werden. Die Rückkehr zum Kontaktsport geben wir nach OP nach vier Monaten frei.
Schulterluxation
Luxationen sind in einem Kontaktsport wie Handball mit einer nahezu einhundert prozentigen Rezidivwahrscheinlichkeit verbunden. Die Indikation zur operativen Stabilisierung ist entsprechend sowohl an der Wurfarm als auch an der häufig betroffenen Nichtwurfarmschulter großzügig zu stellen. Wir bevorzugen in dieser Situation eine anatomische arthroskopische Rekonstruktion, soweit keine chronische Situation mit knöchernem Defekt vorliegt. Die Rückkehr zum Kontaktsport geben wir hier frühestens nach sechs Monaten und guter funktioneller Rehabilitation frei.
Traumatische Rotatorenmanschettenruptur
Im Fall der akuten und unfallbedingten Ruptur einer der Sehnen der Rotatorenmanschette empfehlen wir beim jungen Menschen die arthroskopische Refixation der Sehne. Ein konservativer Behandlungsversuch macht hier aus unserer Sicht keinen Sinn. Der Leidensweg würde dadurch unnötig verlängert und die Möglichkeiten einer spannungsfreien und anatomischen Rekonstruktion würden kompromittiert. Die Rückkehr zum Kontaktsport hängt von der Größe der Ruptur ab, ist aber auch bei kleinen Rissen nicht vor sechs Monaten sinnvoll. Bei größeren Rissen muss man mit einer Rehabilitation von neun bis zwölf Monaten rechnen. Meist ist der Wurfarm betroffen. Eine Rückkehr zum alten Leistungsniveau ist in diesem Fall unsicher.
Schulterschmerzen durch Überlastungsprobleme und -schäden
Sie werden gerne unter dem Begriff „Werferschulter“ subsummiert und betreffen in ähnlicher Weise auch zum Beispiel Speerwerfer, Volleyballspieler oder Tennis- und Badmintonspieler. Die wohl am besten wissenschaftlich untersuchten Sportler sind die Baseballspieler, zum einen aufgrund der Menge an Probanden, aber auch wegen des sehr gut definierten und reproduzierbaren Bewegungsablaufes. Für Handball gibt es keine entsprechende Datenlage. Im Gegensatz zum Wurf beim Baseball oder Speerwurf ist die Wurfbewegung des Handballers von Situation zu Situation und Spielposition zu Spielposition unterschiedlich. Trotzdem lassen sich viele Überlegungen transportieren.
Die Wurfgeschwindigkeit wird bestimmt durch den Weg und die Beschleunigung der Hand, also durch Bewegung des Handgelenkes, des Ellenbogens, des Glenohumeralgelenkes, des Schulterblattes und des gesamten Torsos. In jedem Glied der Kette können Probleme auftreten. Ein verminderter Beitrag eines Gliedes muss durch vermehrten Beitrag anderer Glieder kompensiert werden und kann dort zu Überlastung führen. Besonders anfällig dafür ist das glenohumerale Gelenk, weil es bei der Wurfausübung ohnehin an der Grenze des Möglichen belastet wird und verhältnismäßig empfindlich ist. Durch jahrelanges Training kommt es initial zu Anpassungsvorgängen. Die Beweglichkeit des Gelenkes wird in Richtung der Ausholbewegung in Rückführung und vor allem in Außenrotation vergrößert. Die vordere Kapsel erweitert sich. Die hintere Kapsel dagegen verdickt sich und wird enger. Die Gesamtbeweglichkeit der Schulter verringert sich und verschiebt sich in Richtung Außenrotation. Die vordere, beschleunigende Muskulatur wird im Vergleich zur hinteren, bremsenden und kontrollierenden Muskulatur stärker; es kommt zu einer Dysbalance. In der extremen Ausholposition stößt der Ansatz der Supraspinatussehne am oberen Pfannenrand und dem dort befindlichen Ursprung der Bizepssehne an (sog. post erosuperiores Impingement, PSI). In der Folge kommt es zu immer wiederkehrenden Mikroverletzungen, die mehr oder weniger symptomatisch werden können.
Häufige chronische Läsionen der Handballerschulter:
- Läsionen des Bizepsankers (SLAPLäsion)
- Intraartikuläre Teilläsionen der Supraspinatussehne (SSP) bis zur Komplettruptur (Abb. 2 und 4)
- Zystenbildung am Ansatz der SSP am Tuberkulum
- Erweiterung des vorderen Kapselbandapparates und Knorpel/Labrumläsionen mit subtiler Schulterinstabilität
- Läsionen, Reizungen und Instabilitäten der langen Bizepssehne
Die Behandlung von Überlastungsschäden der Handballerschulter
Die Behandlung ist primär eine Domäne der konservativen Therapie. Je nach Ausprägung wird zunächst der akute Reizzustand durch Pause und antiphlogistische Maßnahmen zum Abklingen gebracht. Mittelfristig und langfristig werden die o. g. statt gehabten Anpassungsvorgänge adressiert. Die dorsale Kapsel wird gedehnt.
Die Dysbalance zwischen der beschleunigenden vorderen und der kontrollierenden hinteren Muskulatur sollte ausgeglichen werden. Skapulaführung und -kontrolle werden trainiert. Der Beitrag der Wurfbeschleunigung über die Rumpfrotation sollte zur Entlastung der glenohumeralen Strukturen verbessert werden.
Bei ungenügendem Erfolg dieser Maßnahmen über mindestens 6 Monate ist ein operatives Vorgehen zu diskutieren.
Das eigene operative Vorgehen wird entscheidend davon beeinflusst, inwieweit eine Instabilität vorliegt. Bei positiver Apprehension, positivem Relocationtest und evtl. assoziierter allgemeiner Laxizität erscheint eine Rekonstruktion und/oder dosierte Raffung der vorderen Kapsel und ggf. (bei jungen Sportlern) eine Refixation der Bizepssehne (SLAPRepair) sinnvoll. Besteht keine relevante Instabilität, empfehlen wir bei entsprechendem Befund auch bei jüngeren Spielern eher die Tenotomie und Tenodese der langen Bizepssehne. Eine Refixation der Supraspinatussehne erfolgt bei ausgedehnten Teilläsionen, die mehr als 50 % des Sehnenquerschnittes betreffen.
Zur Einschätzung der Erfolgsaussichten derartiger Operationen gibt es kaum wissenschaftliche Daten. Untersuchungen im Baseball geben Hinweis, dass der Return to Sport (RTS) nicht sicher vorher gesagt werden und über ein Jahr in Anspruch nehmen kann. Das Wiedererlangen derselben Wurfqualität erscheint eher selten. Etwa ein Drittel der operierten Baseballspieler schafft es nicht zurück.
Eigene Erfahrungen im Handballsport zeichnen hier ein etwas positiveres Bild. Zum Erfolg des Handballers tragen glücklicherweise nicht nur die Wurfgeschwindigkeit, sondern viele weitere Qualitäten bei. Für den langfristigen Behandlungserfolg bleiben die oben beschriebenen Übungsbehandlungen eminent wichtig. Zunehmend wird anerkannt, dass ein frühzeitiges prophylaktisches Training schon im Jugendbereich hilft, Überlastungen und Schädigungen des Schultergelenkes vorzubeugen.