Oktober 2021 – Ausgabe 38
Transforaminale endoskopische lumbale Nukleotomie bei allen Arten von Bandscheibenvorfällen ohne Vollnarkose
Keywords: Transforaminale endoskopische lumbale Diskektomie, offene lumbale Diskektomie, Postnukleotomie-Syndrom
Der transforaminale endoskopische Zugang zum Intervertebral- und Epiduralraum bietet anerkanntermaßen Vorteile für die lumbale Diskektomie, wie eine deutlich geringere Traumatisierung, eine schnellere Genesung sowie niedrigere Komplikations- und Rezidivraten. Trotzdem hat sich dieses Verfahren national und international noch nicht durchgesetzt. Im APEX SPINE Center der ATOS Klinik München können dank eines innovativen Instrumentariums und hoher Expertise jedoch fast alle lumbalen Bandscheibenvorfälle transforaminal sicher entfernt werden.
Die offene (mikroskopische) lumbale Diskektomie ist weltweit noch immer der Goldstandard bei der Behandlung symptomatischer lumbaler Bandscheibenvorfälle. Trotz des relativen hohen Verletzungsrisikos von Gefäßen und Nerven und des vergleichsweise hohen Rezidivrisikos sowie weiterer Nachteile konnte sich das bereits 1970 von Kambin beschriebene, endoskopische transforaminale Operationsverfahren bis heute nicht als Standardeingriff durchsetzen.
Aus Angst vor Komplikationen wurde nach minimalinvasiven Verfahren gesucht [1–9]. Studiert man die gängige Literatur, so werden dabei minderwertige Optiken, die eine ausreichende Inspektion des Spinalkanals verhindern, zu kleine Instrumente (Arbeitskanal), die foraminale Stenose oder der Zugang zum Segment L5/S1 (hoher Beckenkamm) als limitierende Faktoren genannt.
Einig sind sich viele Autoren über die deutlich geringere Traumatisierung durch minimalinvasive Verfahren: Es kommt beim posterolateralen transforaminalen Zugang zum Intervertebral- und Epiduralraum nachweislich zu keiner Verletzung von Strukturen, die möglicherweise eine Narbenbildung oder gar eine Instabilität bewirken [10]. Dieser Zugang reduziert außerdem deutlich die Wahrscheinlichkeit für ein „Postnukleotomie-Syndrom“. Bei dem noch von Kambin und Sampson beschriebenen Verfahren bzw. dem von ihnen benutzten System besteht die Möglichkeit der Verletzung und/oder Kompression der Nervenwurzel oder des Ganglions [3]. Aufgrund der geringeren Größe des Neuroforamens bei foraminaler Stenose erhöht sich das Risiko einer Nervenirritation oder gar eines Nervenschadens.
Die beschriebenen Probleme, schlechte Ergebnisse sowie das Nichterreichen eines Bandscheibenvorfalls bei engem Neuroforamen (Foraminalstenose) [14] oder bei weit nach kaudal oder kranial sequestriertem Vorfall, gehören im APEX SPINE Center in der ATOS Klinik München mittlerweile der Vergangenheit an. Das zwischenzeitlich auf dem Markt befindliche, deutlich weiterentwickelte endoskopische Instrumentarium (Ceptovation® System der Fa. Med2B) erlaubt es nun, alle Arten von Bandscheibenvorfällen – gleich welcher Größe und Lokalisation – transforaminal erfolgreich zu entfernen. Möglich wird dies durch deutlich verbesserte Optiken (Foraminoskop), die eine HD-Darstellung des Epiduralraumes bei optimierter Ausleuchtung und gleichzeitig vergrößertem Arbeitskanal sowie verringertem Gesamtaußendurchmesser des Endoskops aufweisen.
Einzige Ausnahme bildet der sehr seltene, nach dorsal sequestrierte Bandscheibenvorfall, welcher vom Autor allerdings nicht transforaminal, sondern interlaminar angegangen und erfolgreich entfernt werden kann.
Um alle Arten von Bandscheibenvorfällen transforaminal endoskopisch zu erreichen, ist ein spezielles Instrumentarium bestehend aus Dilatatoren, Bohrern und Fräsern (Ceptovation®) unabdingbar. Mit einfachen Dilatatoren erreicht man über einen weit lateralen (far lateral) transforaminalen Zugang lediglich Bandscheiben- vorfälle auf Bandscheibenniveau, knapp darüber oder darunter. Intraforaminale Bandscheibenvorfälle lassen sich zum Beispiel elegant nur mit Dilatatoren erreichen und unter endoskopischer Kontrolle entfernen.
Ohne entsprechendes Instrumentarium, mit dem eine Erweiterung des foraminalen Fensters möglich ist, können Bandscheibenvorfälle auf Ebene L5/S1 nur durch den ungeliebten interlaminaren Zugang angegangen und geborgen werden. Lediglich mit einem speziellen Instrumentarium ist es möglich, transforaminal jeden Ort im Spinalkanal zu erreichen. Durch diese Fräser/Bohrer gelingt es außerdem – beispielsweise bei engem Foramen oder bei weit nach kaudal versprengten Bandscheibenvorfällen – durch vorsichtige Erweiterung des Foramens, genügend Platz zu schaffen und das Arbeitsröhrchen für das Endoskop an den richtigen Ort, im ventralen Epiduralraum zu platzieren, um so versprengtes Band- scheibengewebe transforaminal endoskopisch sicher zu entfernen.
Operationsziel ist die Entfernung eines sequestrierten lumbalen Bandscheibenvorfalls unabhängig von Größe und Lage. Bei dieser Methode kann zusätzlich eine knöcherne Dekompression (Foraminoplastik) bei vorliegender foraminaler Stenose durchgeführt werden. Erreicht werden sollen Schmerzfreiheit und eine möglichst normale Wirbelsäulenfunktion.
Gab es vor ca. zehn Jahren international eine vergleichsweise geringe Anzahl von Publikationen über endoskopische Bandscheiben-/Wirbelsäulenchirurgie, so hat sich die Zahl der Anwender und der Publikationen mehr als verzehnfacht.
Indikation
- alle Arten von Bandscheibenvorfällen mit Ausnahme der äußerst selten nach dorsal sequestrierten Band-scheibenvorfälle
- Cauda-equina-Syndrom
Kontraindikation
Patient in Vollnarkose
Anästhesiologisches „Stand by“
Die Analgosedierung findet beispielswei- se mit i.-v. Opiaten und Midazolam statt (z. B. Ultiva® 0,05μg/KG/min und 3–5 mg Dormicum®), außerdem Pulsoxymeter und EKG. Die Analgosedierung sollte nicht zu tief sein, sodass der Patient jederzeit ansprechbar ist.
Lagerung
Der Patient wird in Seitenlagerung mit der zu behandelnden Seite nach oben auf einem röntgendurchlässigen Tisch mit frei schwenkbarem C-Bogen gelagert (Abb. 1a und b).
Eine Bauchlagerung ist auch möglich; sie bietet sich bei beidseitigen Eingriffen an.
Der reguläre Zugang liegt zirka 8 bis 12 Zentimeter lateral der Mittellinie. Bei einem nach kranial sequestriertem Vorfall ist der Eintrittswinkel eher flach, bei einem nach kaudal sequestriertem Vorfall eher steiler zu wählen. Der Abstand von der Mittellinie ist größer, falls Adipositas oder ein ganz enges Foramen mit Facettenarthrose vorhanden sind.
Fehler, Gefahren, Komplikationen
Jeder Schritt der Operation, insbesondere wenn die Instrumente das Foramen und den Spinalkanal erreichen, sollte röntgenologisch in zwei Ebenen kontrolliert werden.
Bei Blutung: Physiologische Hämostase abwarten oder unterstützende Blutstillung mit einer HF-Sonde
Bei Duraverletzung: Lokale Blutungen provozieren; dient als Blutpatch (Anfrischen der Deckplatte bis zum Auftreten von Blutungen). Größere Duraverletzungen mit Liquorverlust, die eventuell eine offene Revision erforderlich gemacht hätten, sind bislang nicht aufgetreten.
Fallbeispiele
Fall 1: Weit kaudal sequestrierter Bandscheibenvorfall L4/5
Patient berichtete, vor ca. zehn Wochen massive Lumboischialgien rechts gehabt zu haben. Aktuell ist die Schmerzsituation erträglich, aber die zunehmende Fußheberschwäche mit Stolpern ist zu einem ernst zu nehmenden Problem geworden.
Klinisch zeigte sich eine Fußheberparese von 2/5 KG rechts. Das MRT zeigt eine großen, weit kaudal bis auf das Bandscheibenniveau L5/S1 sequestrierten Bandscheibenvorfall mit Kompression der L5 Wurzel rechts (Abb. 3a, b). Nach Entfernung des Sequesters (Abb. 3e) ist die freie Nervenwurzel erkennbar (Abb. 3f).
Fall 2: Kranial sequestrierter Bandscheibenvorfall L5/S1
Patient klagt seit acht Wochen über Lumboischialgien links. Hauptproblem ist der Beinschmerz. Das MRT zeigt eine großen, nach kranial bis auf das Bandscheibenniveau L4/5 sequestrierten Bandscheibenvorfall mit Kompression der L5 Wurzel links (Abb. 4a, b). Nach Entfernung des Sequesters (Abb. 4e) zeigt sich die freie Nervenwurzel (Abb. 4f).
Fall 3: Intra-extraforaminaler Bandscheibenvorfall
Patient klagt seit sechs Wochen über Lumboischialgien, die in den ventralen Oberschenkel links ziehen. Hauptproblem ist der Beinschmerz sowie die schwindende Kraft links. Treppengehen ist nicht mehr möglich, ohne sich festzuhalten. Das MRT zeigt einen intra-extrafora-minalen Bandscheibenvorfall L3/4 mit Kompression der austretenden L3-Wurzel links (Abb. 5a, b). Nach Entfernung des Sequesters (Abb. 5e) ist die freie Nervenwurzel erkennbar (Abb. 5f).
Fall 4: Bandscheibenvorfall bei Spondylolisthesis Vera L5/ S1 Grad II N. Meyerding
Patient klagt seit acht Wochen über Lumboischialgien rechts. Hauptproblem ist der Beinschmerz rechts. Das MRT zeigt einen großen Bandscheibenvorfall auf Bandscheibenniveau L5/S1 mit Kompression der L5 Wurzel intraforaminal rechts (Abb. 6a, b). Nach Entfernung des Sequesters (Abb. 6e) ist die freie Nerven- wurzel erkennbar (Abb. 6f)
Fazit
Bei den Ergebnissen schneiden die endoskopischen Verfahren zum Teil besser ab als die klassischen offenen Verfahren [15, 19, 20]. Abhängig sind die Ergebnisse jedoch von der Erfahrung des Operateurs sowie des zwischenzeitlich deutlich verbesserten Instrumentariums. In der aktuellen Literatur variiert die Rezidivrate bei den rein endoskopisch operierten Patienten zwischen 3,8 % [15, 16] und 6,2 %.
Diese langfristigen Ergebnisse sind vergleichbar mit einer Studie aus dem Jahr 2005 und bestätigen diese Ergebnisse somit noch einmal [15].
Im Zeitraum von fast 20 Jahren wurden von uns annähernd 10.000 Patienten nach dem beschriebenen Verfahren operiert.
Bei keinem der Patienten traten ernsthafte Komplikationen, insbesondere keine Infektionen, vor allem keine Spondylodiszitis, auf. Duraverletzungen wurden sehr selten beobachtet, bedurften jedoch keiner Revision.
Über 98 % der Patienten würden sich, wenn notwendig, wieder mit der gleichen Methode operieren lassen.
Ein wesentlicher Vorteil bei dem endoskopischen Verfahren liegt in der deutlich geringeren Traumatisierung, der schnelleren Genesung sowie der geringeren Komplikations- und Rezidivrate. Mit Ausnahme von nach dorsal sequestrierten Vorfällen können mit den hier beschriebenen endoskopischen Verfahren alle Arten von Bandscheibenvorfällen transforaminal endoskopisch entfernt werden. Es bedarf jedoch einer langen Lernkurve, bevor jeder Bandscheibenvorfall mit dem Endoskop erreicht werden kann.