Mai 2021 – Ausgabe 37

30 Jahre ATOS Kliniken: Vom Geburtsfehler und einer ganz besonderen DNA

Prof. Dr. med. Peter Habermeyer
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Die Geschichte der ATOS Klinik beginnt mit einem „Geburtsfehler“: Die Idee war zwar richtig, unter einem Dach Praxen, Bettenstation und OP­-Säle einzurichten. Aber es fehlte ein schlüssiges Konzept, für das die Pra­xisklinik stehen sollte. Der Denkfehler lag in der Ab­sicht, möglichst viele Fachgebiete von der Gynäkologie und Geburtshilfe über HNO bis zur plastischen Chi­rurgie unter einem Dach zu versammeln. Aber dieses breite Angebot von Fachgebieten verhinderte eine Spezialisierung auf einen Schwerpunkt, sodass es für die Patienten keinen „Mehrwert“ gab. Das Angebot war zu dürftig – gerade in einer Stadt wie Heidelberg mit ih­rer starken Universitätsklinik.

Es ist das Verdienst von Prof. Hans Pässler, der 1993 in die ATOS Praxisklinik eintrat, den Fehler erkannt zu haben. Daraufhin wollte er das Konzept einer Spezialisierung auf einen Schwerpunkt – nämlich Orthopädie und Unfallchirurgie – auf den Weg bringen. Seine Pläne wurden jedoch jäh gestoppt, als der Besitzer der Klinik, Dr. Jürgen Schneider, 1994 als Baubetrüger in Miami ver­haftet wurde. Es folgte die Insolvenz, die Klinik bekam unter Bankaufsicht einen Insolvenzverwalter, der ein erfolgreicher Kli­nikmanager war. Prof. Pässler konnte den neuen Insolvenzver­walter von seiner Idee überzeugen, das Haus in Richtung einer Spezialklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie auszurichten.

Aber das war nur der erste Schritt in Richtung Sanierung. Der zweite und vielleicht noch wichtigere Schritt war, neue Spe­zialisten an Bord zu bekommen und diese als Kommanditisten an der Klinik zu beteiligen. Damit bekamen die Ärzte Einfluss auf das Management und die Klinik engagierte Chirurgen, man zog an einem Strick. Schon im zweiten Jahr nach der Insolvenz war die schwarze Null erreicht. Die Bank durfte die Klinik nicht langfristig weiterführen und suchte nach einem Käufer. Für uns Ärz­te drohten dunkle Wolken aufzuziehen, da wir als Kommanditis­ten keinen herkömmlichen Klinikträger als Besitzer wünschten. Schließlich bot die Bank uns Ärzten an, die Klinik und mit ihr die Immobilie zu übernehmen. Damit übernahmen wir erhebliche Schulden, aber auch eine der schönsten Kliniken Deutschlands.

Ab den 2000er­ Jahren starteten wir durch, neue Kollegen kamen hinzu, die Bettenzahl wuchs von ursprünglich 43 auf 70 Betten. Auch den Umstieg 2005 auf das DRG­Vergütungs­system konnten wir gut ausbalancieren. Aber es wurde zu eng unter dem Dach, die Praxen wuchsen mit der steigenden Zahl von Patienten, wir brauchten Platz. Direkt in der Nachbar­schaft der ATOS Klinik war die Universität mit der Psychoso­matik in der Luisenheilanstalt untergebracht, einer Klinik aus  der Gründerzeit in einem renovierungsbedürftigen Bau mit Neben­gebäuden. Nach jahrelangen Verhandlungen mit dem Innen­ministerium, der Universität und dem Universitätsbauamt gelang es uns 2008, die Gebäude zu übernehmen. Nun war Platz für neue Praxen, eine Vergrößerung der chirurgischen Notauf­nahme, den Einbau eines ambulanten OP­Zentrums und für die Verlagerung einiger Praxen in die angebaute Luisenheilanstalt.

Holpriger Beginn in München

Im selben Jahr 2008 war in München die „Alpha Klinik“ in die Insolvenz geraten und stand zum Verkauf an. Es war ein kleines Haus mit nur acht Betten, dafür aber vier OP­-Sälen mit dem Schwerpunkt Knie­ und Wirbelsäulenchirurgie. Mit der Über­legung, durch eine zweite Klinik unsere Basis zu verbreitern und langfristig zu wachsen, legten wir einen Businessplan vor. Unter 14 Bewerbern bekam die ATOS Klinik mit ihrem Sanierungsplan den Zuschlag. Nach einem Jahr Umbauzeit mit Ein­bau von zwei Bettenstationen mit insgesamt 40 Betten konnten wir 2009 eröffnen. Aber auch in München war der Start sehr holprig: Die Klinik musste sich vom alten Ruf lösen, sich langsam die Zuweisererarbeiten und die Münchner Patienten zurück­gewinnen. Bei einem extrem dichten Ärztemarkt hat man nicht auf die Neuankömmlinge gewartet. Erst durch den Eintritt von Münchner Ärzten und den konsequenten Ausbau der Schwer­punkte Schulter­-, Knie-­ und Wirbelsäulenchirurgie konnte der Turnaround geschafft werden. Heute wird in der ATOS Klinik München die gesamte Breite der orthopädischen Chirurgie von der Hand­ bis zur Fußchirurgie von Spezialisten abgedeckt.

Zwischenzeitlich waren die beiden Kliniken so stark gewachsen, dass langfristig die wirtschaftliche Sicherheit nicht mehr in den Händen von einzelnen Belegärzten gehalten werden konnte. Zu­dem wäre ein weiteres Wachstum nur durch Fremdfinanzierung möglich gewesen. Um die Zukunft langfristig zu sichern, ohne die Beteiligung der übrigen Kommanditisten anzutasten, wurde eine Mehrheitsbeteiligung für die Klinik gesucht. 2014 über­nahm dann die Median Gruppe, die heute zur Waterland Private Equity GmbH gehört, die Mehrheitsbeteiligung an beiden Klini­ken. Unter der neuen Leitung wurde die ATOS Gruppe als spezi­alisierte Klinikgruppe aus dem Median Konzern heraus gegrün­det mit dem Ziel, im gesamten Bundesgebiet die ATOS Kliniken mit ihrer Philosophie zu etablieren. Mit heute neun Kliniken und derzeit drei medizinischen Versorgungszentren ist der Name ATOS nun bundesweit vertreten und wird weiter wachsen.

Was ist die „DNA der ATOS?

Fragt man sich, was die „DNA“ hinter dem Namen ATOS ist, so sind die Grundideen der Gründer unverändert gültig. Auch wenn es eine oft bemühte Formel ist, im Mittelpunkt steht der Patient. Das Management, die Pflege und die ärztliche Versorgung haben sich dieser Grundidee unterzuordnen. „Der Arzt kommt zum Patienten, nicht der Patient zum Arzt.“ Nach diesem Leitspruch läuft es in der ATOS Klinik.

Nach wie vor gilt das Primat der Superspezialisierung in den verschiedenen Bereichen der Orthopädie und Unfallchirurgie. Der gesamte Bewegungsapparat ist zu komplex und umfang­ reich, um von einem Generalisten operativ beherrscht zu wer­den. Somit werden in den ATOS Kliniken die einzelnen großen Gelenke, Wirbelsäule, Hand und Fuß jeweils von Spezialisten versorgt.

Im Unterschied zu öffentlichen Kliniken ist der Belegarzt als Unternehmer dem Krankheitsrisiko und einer fehlenden betrieb­lichen Absicherung ausgesetzt, welche er nur durch Fleiß und überzeugende Leistung absichern kann. Um langfristig bestehen zu können, sind darüber hinaus wissenschaftliche Reputation, Kongresstätigkeit oder Vereinsarzttätigkeit wichtig für die Qua­lifikation.

Die Belegarzttätigkeit unterscheidet sich grundsätzlich von der in einem öffentlichen Haus. Dort wechseln sich Chefarzt, Oberärzte, Fach­ und Assistenzärzte in der operativen und stationären Behandlung des Patienten ab und müssen sich um eine viel größere Gruppe von Patienten kollektiv kümmern, was mit zu wenig Zeit am Patienten und Informationslücken verbun­den sein kann. Das Pyramidensystem mit einem Chefarzt, weni­gen Oberärzten und der Basis von Stations­- und Assistenzärzten behindert sich selbst durch hierarchische Reibungsverluste.

Der Belegarzt hingegen hat vergleichsweise weniger Patienten, aber mehr Zeit für sie, und betreut diese über den ganzen Zeitraum bis zur Ausheilung. Die Belegärzte sind untereinander gleichgestellt wie im angloamerikanischen Consultant System mit flachen Hierarchien. Das führt zu einem kollegialen Mitein­ander und fachlichem Austausch. Nicht umsonst suchen heute viele erfolgversprechende Universitätsärzte den Weg in die Unabhängigkeit in den ATOS Kliniken.

Privat geführte Kliniken, die nicht im Bedarfsplan stehen, spielen neben den öffentlichen Häusern der Maximalversorgung und den Universitätskliniken in der Versorgung der Patienten eine wichtige Rolle. Durch schlankere Strukturen können sie durch ihre Spezialisierung Routineoperationen und sich wiederholen­de Standardeingriffe, wie z. B. Hüftprothetik, auf einem gleich­mäßig hohen Niveau anbieten und damit die großen Häuser entlasten, die dadurch Platz für hochkomplexe Eingriffe gewin­nen, die eine viel aufwendigere Infrastruktur benötigen.

Bei der gegenwärtigen Tendenz, regionale Kreiskrankenhäu­ser abzubauen und die Versorgung in überregionalen Groß­kliniken zu bündeln, bietet sich in Zukunft kleineren, qualitativ hochstehenden Spezialkliniken die Chance, in die Versor­gungslücken hineinzustoßen, die zwangsläufig mit der Zentrali­sierung einhergehen. Auf diesem guten Weg befinden sich die ATOS Kliniken.